Stefan Hell und Herta Müller sind Nobelpreisträger. Hell ist ein herausragender Chemiker, Direktor des deutschen Max-Planck-Instituts in Göttingen. Er erhielt die Auszeichnung 2014. Müller bekam den Literaturnobelpreis 2009. Sie brachte die Erfahrungen der sozialistischen Diktatur und der sowjetischen Arbeitslager in die deutschsprachige Literatur. Was haben diese beiden Personen gemeinsam?
Beide wurden im rumänischen Banat geboren und beide absolvierten das deutschsprachige Nikolai-Lenau-Lyzeum in Temeschwar (Timisoara). Beide betrieben ihr herausragendes Schaffen auf Deutsch, obwohl sie in Rumänien geboren und ausgebildet wurden. Wie wäre ihr Leben verlaufen, wenn diese rumänische und sozialistische Erziehung nicht deutschsprachig gewesen wäre?
Am vergangenen Samstag wurde in Stuttgart der Donauschwäbische Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg verliehen, den der kroatische Schriftsteller Ludwik Bauer für sein autobiografisches Arbeiten über das Schicksal der Deutschen vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg im ehemaligen Jugoslawien erhielt. All seine Werke sind in kroatischer Sprache verfasst.
Sissek (Sisak), wo Bauer geboren wurde und die Oberschule in Temeschwar sind laut Google Maps weniger als 500 km voneinander entfernt. Aber es teilt sie mehr als nur die Entfernung. In Rumänien wurde die deutsche Sprache trotz sozialistischer Diktatur nicht verfolgt und Einrichtungen, in denen wie heute die Unterrichtssprache vom Kindergarten bis zur Universität Deutsch war, gab es auch zu Zeiten des grausamen Nicolae Ceauşescu. Dies war in Siebenbürgen und im Banat der Fall. Die Politik von Bros Tito im sozialistischen Jugoslawien, wirtschaftlich liberal, offen für den Westen, akzeptierte im Inneren des Landes die deutsche Identität einiger Bürger nicht und die vor 1939 in Esseg (Osijek) bestehenden deutschen Schulen durften nicht weiterexistieren. Ludwig Bauer konnte die Sprache seiner Vorfahren nicht lernen. Als Schwabe blieb er jedoch seinem Erbe treu.
Aus seiner Muttersprache verbannt, gab er ihr sein schriftstellerisches Talent hin, dem er auf Kroatisch nachgehen muss. Die Vorfahren von Müller und Bauer brachen vor dreihundert Jahren auf Flößen von Ulm aus auf, um über die Donau ihre neue Heimat zu erreichen. Ganze Generationen, die der Gemeinschaft, mit der sie in diesen Regionen lebten, treu blieben, blieben auch der deutschen Kultur und Sprache treu. Nach dem Zweiten Weltkrieg trennten sich dann aber ihre ähnlichen Wege.
Heute wird Deutsch in Kroatien nicht bekämpft. In Polen ist das anders. Hier setzt man erneut den Staatsapparat ein, um die Identität seiner deutschen Bürger zu bekämpfen. Werden wir überleben? Wird bei uns und bei den Donauschwaben in Kroatien wieder jemand Deutsch schreiben?
Bernard Gaida