Brief an den polnischen Senat: Deutsche in Polen haben das Recht auf Unterstützung ihrer Muttersprache

Brief an den polnischen Senat: Deutsche in Polen haben das Recht auf Unterstützung ihrer Muttersprache

Am 22. Dezember 2021 hat der Verband der deutshen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen ein offizielles Schreiben an den Senat der Republik Polen gerichtet, in dessen Inhalt er darum bittet, die im Sejm abgestimmte Änderung des Haushaltsgesetzes abzulehnen, der eine Kürzung der Bildungszuschüsse für den Sprachunterricht nationaler Minderheiten voraussieht. Vollständigen Text des Schreibens lesen Sie unten:

Sehr geehrter Herr Marschall,
sehr geehrte Senatorinnen und Senatoren,

am Freitag, dem 17.12.2021, verabschiedete der Sejm der Republik Polen im Rahmen des Haushaltsgesetzes für das Jahr 2022 einen Änderungsantrag, der eine deutliche Kürzung um 39,8 Mio. PLN der Bildungssubvention für den Unterricht von Minderheitensprachen vorsieht. Theoretisch sind sämtliche Minderheitensprachen betroffen, jedoch nach den Erklärungen der Antragsteller und des Ministers für Bildung und Wissenschaft betrifft die Kürzung ausschließlich den Unterricht von Deutsch als Minderheitensprache.

Der Unterricht der Minderheitensprachen beruht auf nationalen Rechtsvorschriften wie dem Gesetz über das Bildungssystem, das Gesetz über nationale und ethnische Minderheiten und über die Regionalsprache und den entsprechenden Verordnungen, zugleich beruht er auf einer freiwilligen Verpflichtung des Republik Polens, die im Jahr 2009 die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen ratifiziert hat.

Das Gesetz über nationale und ethnische Minderheiten und die Regionalsprache betrifft die Umsetzung der Rechte von Personen, die Minderheiten angehören, auf das Erlernen der Minderheitensprache oder in der Minderheitensprache sowie das Recht dieser Menschen, Geschichte und Kultur der Minderheiten zu lernen. Das Erlernen der Minderheitensprache im Einklang mit den Zielen des Gesetzes formt und stärkt das Bewusstsein der nationalen Identität und entwickelt die sprachlichen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen. Die Charta der Regional- und Minderheitensprachen unterstreicht die Notwendigkeit, Regional- und Minderheitensprachen zu schützen, was zur Erhaltung und Entwicklung des kulturellen Reichtums und der Traditionen Europas beiträgt und einen Beitrag zum Aufbau eines Europas leistet, das auf der Grundlage der Grundsätze der Demokratie und der kulturellen Vielfalt basiert.

Alle Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates während des zyklischen Monitorings der Umsetzung der Charta zeigen ständig auf, dass die Republik Polen immer noch viele der Verpflichtungen, die sie freiwillig angenommen hat, nicht umgesetzt hat, auch in Bezug auf den Unterricht in Minderheitensprachen. Der Unterricht der deutschen Sprache wird überwiegend in Form eines zusätzlichen Schulfaches durchgeführt, es gibt kaum Unterricht in zwei Sprachen, und es gibt überhaupt keine dritte Form des Unterrichts, das heißt in der Sprache der nationalen Minderheit. Die Republik Polen hat sich aber verpflichtet, ein Bildungssystem in den Sprachen nationaler Minderheiten zu schaffen, in diesen Gebieten, wo die Vertreter:innen der nationalen und ethnischen Minderheiten wohnen. Diese Fakten deuten auf die Notwendigkeit einer weiteren Entwicklung des Bildungswesens der Minderheitensprachen hin, um die in vielen europäischen Ländern bestehenden Standards zu erreichen. Die Entscheidung, die Mittel für den Unterricht von Minderheitensprachen zu kürzen, muss jedoch unweigerlich zu einer weiteren Absenkung der Bildungsstandards führen.

Die Antragsteller der Mittelkürzung haben sich auf die Bestimmungen des Vertrags zwischen der Republik Polen und der Bundesrepublik Deutschland über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17.06.1991 berufen und weisen auf die angeblichen Mängel hin beim Unterricht der polnischen Sprache für Polen, die in Deutschland wohnhaft sind. Ohne die Notwendigkeit des Erlernens der polnischen Sprache in Deutschland in Frage zu stellen, weisen wir darauf hin, dass die Lage der Polen in Deutschland und der deutschen Minderheit in Polen in jedem Punkt nicht vergleichbar ist. Die Deutschen in Polen sind loyale Bürger des Staates und als nationale Minderheit haben das Recht auf die Unterstützung der Minderheitensprache in einem nationalen Bildungssystem, so dass diese als wesentlicher Bestandteil ihrer nationalen, sprachlichen und kulturellen Identität bewahrt werden kann.

Das Verbot des Deutschunterrichts sowie die kulturelle und sprachliche Diskriminierung der deutschen Minderheit, die in der Volksrepublik Polen nicht anerkannt wurde, hat dazu geführt, dass heutzutage die deutsche Minderheit mit einem schwierigen Prozess konfrontiert ist, ihre Minderheitensprache als Sprache des Familien- und Alltagslebens wiederzubeleben. Die richtige Form des Bildungssystems für Schüler:innen der deutschen Minderheit, die für diesen Prozess relevant ist, ist seit Jahren Gegenstand der Arbeiten der Gemeinsamen Kommission der Regierung und der nationalen und ethnischen Minderheiten sowie der regelmäßigen Treffen mit Sachverständigen des Europarats. Diese Arbeiten beruhen ausschließlich auf der gegenseitigen Anerkennung, dass Deutsche in Polen als autochthone nationale Minderheit (gleichberechtigt mit anderen nationalen Minderheiten) Anspruch auf diese notwendige Unterstützung haben.

Die Art und Weise, wie die Antragsteller sich auf den Vertrag über die gute Nachbarschaft berufen haben, ist zugleich ein Beweis dafür, dass die polnische Regierung im Hinblick auf die Umsetzung der bilateralen Annahmen der deutsch-polnischen Politik die Interessen der loyalen polnischen Bürger opfert, die das Recht auf den Unterricht in der Minderheitensprache haben. Es schadet gleichzeitig der Erfüllung der Verpflichtungen, die aus den internationalen Übereinkommen zwischen Polen und dem Europarat hervorgehen.

Die Senkung der Bildungssubvention bedeutet vor allem eine Senkung der Bildungsstandards für unsere Kinder, weitere Generationen polnischer Staatsangehöriger, die zu nationalen und ethnischen Minderheiten gehören. Diese Maßnahmen können die Zukunft vieler ländlicher Schulen in den von Minderheiten bewohnten Regionen beeinträchtigen.

Den Wert der Multikulturalität und der Mehrsprachigkeit hervorhebend sowie das Recht polnischer Staatsangehöriger, die ethnischen oder nationalen Minderheiten angehören, auf den Unterricht der Regional- oder Minderheitensprachen, bitten wir um die Ablehnung des in Sejm angenommenen Änderungsantrages, der eine Kürzung der Bildungssubvention in Höhe von 39,8 Mio. PLN für den Unterricht von Minderheitensprachen vorsieht.

Mit Dankbarkeit möchten wir Ihnen mitteilen, dass die Bitte, mit der wir uns an Sie wenden, Unterstützung nicht nur unserer Mitglieder, sondern auch der akademischen Welt, der Wirtschaft, der Selbstverwaltung, der Eltern und der polnischen Organisationen in Deutschland, gefunden hat.

Mit freundlichen Grüßen

Bernard Gaida
Vorstandsvorsitzender

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