Vom 21. bis zum 24. Oktober 2022 war Herr Dietmar Nietan, seit 2022 Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit, auf einer Reise nach Polen. Den Besuchen in Breslau und Kreisau in Niederschlesien folgte auch ein Tag in Oppeln (wir haben HIER davon berichtet).
Vollständigen Inhalt seiner Aussage während der an diesem Tag organisierten Pressekonferenz präsentieren wir unten:
Ich freue mich sehr, dass ich seit Freitag schon in Niederschlesien und Oberschlesien unterwegs sein darf. Ich werde morgen meine Reise fortsetzen und morgen in Kattowitz beenden.
Ich hatte gestern auch die Gelegenheit mit lokalen Politikern in der Stadt Wrocław zu sprechen und wir wissen alle, dass die Geschichte der Republik Polen in der EU eine große Erfolgsgeschichte ist, gerade auch eine große ökonomische Erfolgsgeschichte, und man kann hier in dieser Region sehen, wie dynamisch die Entwicklungen in der Kultur, in der Wirtschaft in Polen sind. Und dass sie hier besonders erfolgreich und besonders dynamisch sind, hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass wir uns hier in einem Raum befinden, in dieser Region, in der verschiedene Völker friedlich nebeneinander und miteinander gelebt haben und in der die Einflüsse verschiedener Kulturen und Sprachen, wenn wir uns Breslau angucken, mit polnischen, deutschen, Habsburger-, tschechischen Einflüssen, dass diese Vielfalt vielleicht ein großer Grund dafür ist, warum diese Region besonders erfolgreich ist.
Situation der deutschen Minderheit in Polen:
In der heutigen Zeit ist die deutsche Minderheit hier in der gesamten Region, wenn man so will, eine der ganz wichtigen Faktoren, die für diese Vielfalt stehen, für den Austausch, für das Miteinander und damit letztlich auch für den Erfolg dieser Region.
Wenn eine Regierung, dann eine Minderheit, die einen großen Anteil an Erfolg des ganzen Landes hat, dafür bestraft, weil die polnische Regierung mit der deutschen Regierung unzufrieden ist, ist das nicht nur ungerecht. Es ist eine klare Diskriminierung von polnischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, und es ist letztlich eine Politik, die die Grundlage des dynamischen Erfolgs dieser Region infrage stellt.
Ich bin dem Erzbischof Nossol, seiner Exzellenz, sehr dankbar, dass er sich heute Morgen die Zeit genommen hat für ein sehr langes, persönliches Gespräch, und in diesem persönlichen Gespräch mit diesem großen Mann der Zeitgeschichte und der deutsch-polnischen Versöhnung ist mir noch einmal klar geworden, dass die Vielfalt hier das großer Schatz ist und dass es im Interesse aller verantwortungsbewussten Politikerinnen und Politiker sein sollte, diese Vielfalt zu fördern und nicht zu unterdrücken.
Diese Vielfalt, die wir hier erleben, ist auch ein Spiegelbild der großen Vielfalt, die wir insgesamt in Europa haben. Und wir erleben gerade, dass der russische Imperialismus, sich gegen das ukrainische Volk, aber letztlich gegen uns alle richtet, weil Vielfalt, weil Demokratie, weil eine pluralistische, offene Gesellschaft das Feindbild für Herrn Putin ist. Und wir sollten alles unterlassen, was den Eindruck ermittelt, als gäbe es auch politische Kräfte in Europa, die ähnliche Feindbilder haben.
Polonia in Deutschland
Als Vertreter der Bundesregierung kann ich Ihnen sagen, dass wir die ungefähr zwei Millionen Bürgerinnen und Bürger polnischer Abstammung in Deutschland als eine große Bereicherung empfinden, die einen großen Anteil am kulturellen, am wirtschaftlichen, am politischen Leben in Deutschland hat und wir wollen diesen Beitrag der Menschen mit polnischer Abstammung, den wollen wir nicht missen.
Keine der demokratischen Parteien im deutschen Bundestag käme nur auf eine Sekunde auf eine Idee, die Menschen in der Polonia in Deutschland für irgendetwas zu bestrafen, weil wir mit der polnischen Regierung unzufrieden sind. Das wäre in Deutschland undenkbar.
Im Gegenteil, als Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-polnischen Beziehungen bin ich gerade im Gespräch mit meinen Kolleginnen und Kollegen im deutschen Bundestag um zu schauen, ob wir nicht im Bundeshaushalt auch Mittel bereitstellen, um die Erfassung des Bedarfs an polnischen muttersprachlichen Unterricht und natürlich auch die Förderung vom polnischen muttersprachlichen Sprachunterricht in Deutschland zu verbessern.
Gespräche mit der polnischen Seite
Ich habe dem Bildungsminister der Republik Polen, Herrn Czarnek, bei einem Treffen vor 10 Tagen gesagt, dass die diskriminierenden Kürzungen der polnischen Regierungsmehrheit im Sejm und dann der polnischen Regierung gegenüber der deutschen Minderheit meine Aufgabe für diese Verbesserung zu sorgen nicht vereinfacht hat, sondern erschwert hat, weil es viele Kolleginnen und Kollegen im deutschen Parlament gibt, die mir sagen: „Wir tun erst was im Haushalt, wenn die polnische Regierung diese Kürzungen zurücknimmt“.
Dann sage ich meinen Kollegen im deutschen Bundestag dasselbe, was ich meinen Kolleginnen und Kollegen von der PiS im polnischen Parlament gesagt habe: Ich möchte weder, dass die deutsche Minderheit zu Geiseln genommen wird, wenn wir Ärger in den Regierungen haben, noch möchte ich, dass die Polonia in Deutschland in Haftung genommen wird, und deshalb setze ich mich – trotz der Kürzungen bei der deutschen Minderheit – dafür ein, dass wir diese Verbesserung im Haushalt für die Polonia erreichen. Aber das Klima, das zu schaffen, ist einseitig von der polnischen Regierung sehr stark verschlechtert worden.
Ende November wird der Bundeshaushalt vom deutschen Parlament verabschiedet. Ich hoffe, dass ich bis dahin meine Kolleginnen und Kollegen überzeugt bekomme. Und ich hoffe dann, dass es durch den Beschluss des dt. Bundestages ein Zeichen guten Willens gibt und dann hoffe ich, dass wir uns an einem Tisch setzen und zu vernünftigen Lösungen kommen, denn wir sollten in Zeiten, wie diesen, wo unsere Freiheit durch den russischen Imperialismus bedroht ist, sollten wir uns nicht streiten, sondern wir sollten eng zusammenarbeiten.
Unterstützung der polnischen Sprache
Es ist so, dass die Bundesregierung die Polonia insgesamt mit viel, viel Geld fördert. Aber die Förderung der Sprache ist in unserem föderalen System eigentlich die Aufgabe der Bundesländer.
Deshalb sind wir auch mit den Bundesländern im Gespräch um zu schauen, in welchen Bundesländern funktioniert die Förderung der polnischen Muttersprache schon gut, und in welchen Bundesländern kann man das noch besser machen.
Trotzdem wollen wir jetzt zusätzlich; ich möchte es gerne noch zusätzlich, für die Förderung der polnischen Muttersprache auch Geld in den Bundeshaushalt stellen. Jetzt muss ich es erstmals schaffen, dass das Geld in den Staatshaushalt kommt, und dann werden wir mit den dazu zuständigen Fachministerium die Kriterien entwickeln, wie das Geld ausgegeben werden soll. Und dann wird es einmal darum gehen, best practice zu finden, wie wir den Bedarf feststellen und abfragen.
Weil ich der festen Überzeugung bin, wenn wir den tatsächlichen Bedarf feststellen, können wir Debatten versachlichen. Mir sind nämlich nicht Tausende von Briefen und Eingaben von polnisch stämmigen Bürgerinnen und Bürgern bekannt, die sich darüber beschweren, dass ihr Kind in dem jeweiligen Bundesland keinen muttersprachlichen Unterricht bekommt.
Aber die Feststellung des Bedarfs ist das eine. Ich möchte auch gerne, dass das Angebot am muttersprachlichen Unterricht erhöht wird, weil manchmal ein höheres Angebot zu einer höheren Nachfrage führt.
Wie wir das Angebot, auch in enger Abstimmung mit den einzelnen Bundesländern ausweiten, wie dann die Bedarfe genau aussehen, welche Standards es auch gibt für den Sprachunterricht gibt, er muss ja auch auf einem hohen Standard sein. Genau das soll jetzt systematischer zusammengeführt werden. Es gibt das schon in einzelnen Bundesländern, aber es gibt nicht einen gemeinsamen Standard, und ich möchte auch gerne dazu kommen, das wir einen guten gemeinsamen Standard haben.
Und ich würde dann begrüßen, wenn wir diese systematische Vorarbeit abgeschlossen haben, dass dann natürlich auch Polonia-Organisationen, die Sprachunterricht machen, für die Bezahlung von Sprachlehrerinnen und Sprachlehrern eine finanzielle Unterstützung bekommen.
Dietmar Nietan angesichts der Entscheidungen der polnischen Regierung
Es gab keinen Grund, diese diskriminierenden Kürzungen bei polnischen Staatsbürgern für ihren muttersprachlichen Unterricht durchzuführen. Und weil es keinen guten Grund gibt, sollte die Mehrheit im Sejm diese Haushaltsbeschlüsse für den nächsten Haushalt zurücknehmen. Meine Initiative, dass wir jetzt noch mehr tun und die Bundesländer beim muttersprachlichen Unterricht unterstützen, hat nichts mit der Kürzung bei der deutschen Minderheit in Polen zu tun. Das hätte ich auch getan, wenn es diese Kürzungen nicht gegeben hätte. Wenn jemand den Eindruck erwecken sollte, man könnte die deutsche Regierung, also das deutsche Parlament erpressen, dann hat sich diese Person sehr getäuscht. Man sollte unter Partnern in der Europäischen Union sich nicht gegenseitig erpressen, sondern gegenseitig helfen.
Initiative im Bundestag
Ich will noch einmal betonen, dass die Initiative, die wir jetzt im Parlament starten, unabhängig ist von dem, was der polnische Bildungsminister gesagt hat. Wir sehen es als unsere Aufgabe, an dem Parlament zu schauen, wie wir die Bundesländer auch auf Bundesebene, als Bundesregierung, bei der Förderung der polnischen Sprache, des polnischen Unterrichts unterstützen können.
Das heißt, dass ich den Minister und auch die politische Mehrheit im Sejm auffordere, diese diskriminierenden Kürzungen so schnell wie möglich zurückzunehmen und die Frage, was wir auf Bundesebene tun, ist davon völlig unabhängig. Und ich kann deshalb auch nicht voraussagen, was die Mehrheit im Parlament und der Minister tun wird, wenn wir unsere Beschlüsse gefasst haben. Aber ich will noch einmal deutlich sagen: Wenn der Eindruck entsteht, dass polnische Staatsbürger, die der deutschen Minderheit angehören, diskriminiert werden, um die deutsche Seite zu erpressen, wird das schief gehen und es wird das Ansehen Polens in ganz Europa beschädigen, weil wie eine Mehrheitsregierung mit ihren Minderheiten umgeht, sagt etwas über den demokratischen Zustand im Land.
Ich arbeite dafür, ich kann die Entscheidungen des Haushaltsausschusses des Bundestages nicht vorwegnehmen. Ich glaube, meine Kolleginnen im Haushaltsausschuss wären auch ein wenig verärgert über mich, wenn ich sie mit öffentlichen Äußerungen unter Druck setze, aber ich bin sehr optimistisch, dass wir die Tür zu dem Thema, dass auch die Bundesebene zusätzlich zu den Bundesländern die polnische Muttersprache fördert, dass wir diese Tür hoffentlich Ende November aufstoßen werden.