Kann historische Wahrheit in einer Demokratie unerwünscht sein?

Kann historische Wahrheit in einer Demokratie unerwünscht sein?

In den Jahren, in denen Solidarność entstand, studierte ich in Posen. Die Stadt brodelte vor Versammlungen aller Art, Forderungskatalogen und Streiks hier und da. Der Kriegszustand brachte alles zum Erliegen, oder besser gesagt, drängte alles in den Untergrund. Die geheimen Treffen entwickelten in kurzer Zeit ein Eigenleben, man benutzte keine Namen mehr und Informationen wurden ausschließlich mündlich weitergegeben.

Bei einem dieser Treffen diskutierten wir über das zukünftige demokratische System in Polen nach dem Zusammenbruch des Sozialismus. Ich erinnere daran, dass der berühmte Kongress der Solidarność in der Oliwia-Halle seine Resolution zu den nationalen Minderheiten verabschiedete, in der auch die Deutschen erwähnt wurden. Wir versammelten uns in einem kleinen Raum und tauschten uns über grundlegende demokratische Werte aus. Ich wies darauf hin, dass die Rechte nationaler Minderheiten garantiert werden müssen. Eine der Teilnehmerinnen, eine Mitarbeiterin des Westinstituts, fragte mich, ob ich vielleicht Mitglied einer solchen Minderheit sei. Als sie hörte, dass ich Deutscher aus Schlesien bin, fragte sie: „Und wie viele Deutsche gibt es in Polen?” Ich antwortete, dass ich in Bezug auf die Identität nur über meine näheren und entfernteren Verwandten und Bekannten sprechen könne, aber dass man das im Westinstitut wissen sollte, da dieses für die Erforschung der Westgebiete zuständig sei. Ich erinnere mich noch heute an die Antwort: „Wir dürfen nicht darüber forschen.“ Es gab schließlich die offizielle Auslegung, dass es in Polen keine Deutschen gibt. Diese Situation kommt mir im demokratischen Polen immer öfter in den Sinn.

Vor kurzem haben wir einen weiteren Jahrestag des Überfalls des Dritten Reiches auf Polen begangen. Einige Tage später habe ich mich erneut mit den Kontroversen um den „blutigen Sonntag von Bromberg“ beschäftigt. Dabei geht es um mehrere hundert deutsche Einwohner der Stadt, die am 3. und 4. September 1939 in Bromberg getötet wurden. In diesem Zusammenhang darf der unermüdliche Erforscher dieser Ereignisse – Prof. Jastrzębski – kaum unerwähnt bleiben. In seiner Veröffentlichung aus dem Jahr 1988 schloss er eine deutsche Diversion, die auf Vergeltungsmaßnahmen stieß, nicht aus. Im Jahr 2003 schloss er diese Version bereits aus und erklärte, dass aus den Untersuchungen eindeutig hervorgeht, dass es in Bromberg einfach zu Selbstjustiz und Massakern an der deutschen Minderheit durch Polen gekommen ist.

Sofort wurde er zum Ziel allgemeiner Angriffe, auch von Seiten der Historiker, und musste sein Amt als Direktor des Instituts für Geschichte der Akademie Bromberg niederlegen. Er selbst sagt: „Ich habe für die Wissenschaft gelitten, denn die historische Wahrheit war für mich immer das Wichtigste.“ In Interviews verglich er die in Polen geltenden historischen Interpretationen mit Propaganda, die sich der Objektivität verschließt.

Es fällt schwer, ihm nicht Recht zu geben, wenn man bedenkt, dass wir in den letzten Monaten einen massiven Propagandaangriff auf die Ausstellung „Nasi Chłopcy“ (Unsere Jungs) im Museum von Danzig, eine einseitige Bewertung der Tragödie von Wolhynien und die Ächtung von Prof. Krzysztof Ruchniewicz erlebt haben. Dies ist nicht nur ein Problem eines kleinen Kreises von Historikern.

Leider beschäftigen all diese Themen auch Politiker und weite Kreise der Gesellschaft, die nicht nach Wissen suchen, sondern die Geschichte für ihre eigenen, vorgefassten Thesen nutzen. Für Politiker wird sie zu einem Element des endlosen Kampfes um die Macht. Für die sogenannten normalen Bürger ist sie ein Instrument, um nationale Komplexe zu schüren, Mythen und Ängste zu nähren und verschiedene Formen der Aggression zu rechtfertigen. Das erste Opfer einer solchen Haltung ist immer die Wahrheit und diejenigen, die versuchen, sie zu ergründen. Sie – wie Prof. Jastrzębski oder Prof. Ruchniewicz – bezahlen für ihr Streben nach Objektivität und die Eröffnung einer Diskussion, wo andere bereits eine geschlossene These vertreten.

Die universitären oder staatlichen Strukturen haben sie nicht in Schutz genommen. Für ihren Beitrag zur Debatte haben beide ihre Positionen verloren. Mit Besorgnis stelle ich fest, dass das Knebeln der Münder und das Nachgeben vor der Propaganda im Namen „höherer Ziele” in der Geschichte immer einen Rückschritt der Demokratie – mit ihrer Meinungs-, Medien- und Gedankenfreiheit – bedeutet hat. Leider droht dies auch denen, die selbst den Mund voller demokratischer Losungen haben.

Demokratie kann zu einer Karikatur ihrer selbst werden und sich in Ideologie verwandeln. Aber das ist schon ein Thema für eine andere Kolumne.

Bernard Gaida

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