Für den 18. Juni habe ich eine Einladung zu der Eröffnung der Ausstellung „Vertriebene 1939“ im Haus des Deutschen Ostens in München bekommen. Laut Beschreibung zeigt sie sowohl die Vertreibungen der polnischen Familien aus dem besetzten Großpolen als auch die Umsiedlung der deutschen Familien aus den von der Sowjetunion besetzten Ostgebieten Polens. Keine einfache Aufgabe. In der Schule habe ich über die Nazi-Vertreibung der Polen 1939 aus Großpolen gelernt, aber über die Deportation der Polen aus Ostpolen nach Kasachstan und die Umsiedlung der Deutschen aus der Sowjetunion in den Warthegau nichts. Als ich in Posen studierte, lebten noch Menschen, die mir über die Vertreibung Richtung Osten erzählt haben. Als ich im Jahre 2019 in der Gegend von Odessa war, habe ich mit Menschen gesprochen, die als Bessarabien-Deutsche 1944 in den Warthegau „vertrieben“ wurden. Letztes Jahr konnte ich das Wolhynier Umsiedlermuseum in Linstow besuchen und habe dort noch mit Menschen gesprochen, die aus Wolhynien nach Schmiederdorf, Kowale bei Praszka umgesiedelt worden waren. Jede Erzählung war anders, aber allen gemeinsam war: Niemand wollte damals umsiedeln, und sie alle haben das Wort „Vertreibung“ genutzt. Paradoxerweise: Die Deutschen aus Bessarabien meinten, dass sie durch die Wehrmacht doch vertrieben worden waren. Die umgesiedelten Deutschen sind später Flüchtlinge geworden. So die Familie Biber aus Neuburg in Bessarabien (heute Novohradivka), die 1945 als Verräter des Sowjetischen Staates aus Berlin in den Gulag in Sibirien deportiert worden war und bis 1955 dort gelitten hat. Ihre Vertreibung dauerte 11 Jahre.
Gut, dass die tragischen Schicksale der Menschen, die durch Krieg, Diktatur oder Ideologie ihre angestammte Heimat verloren mussten, durch diese Ausstellung besser verstanden werden. Weil man bis heute noch versucht, die späteren Vertreibungen mit den früheren Vertreibungen zu rechtfertigen. Deswegen soll jede Vertreibung, unabhängig von der Volkszugehörigkeit der Opfer und der Täter, zum Vorschein gebracht und mit der ganzen Grausamkeit dargestellt werden. Um das in der Zukunft zu vermeiden.
Bernard Gaida