Am Vorabend des 35. Jahrestags der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit von 1991 erinnern wir an die besondere Rolle, die der sogenannte Deutsch-Polnische Runde Tisch in den deutsch-polnischen Beziehungen spielt. An den Gesprächen in diesem Format, die 2010 im Zusammenhang mit dem 20. Jahrestag des Vertrages initiiert wurden, waren Vertreter der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen, Vertreter der deutschen Minderheit in Polen und der Polen in Deutschland sowie Experten auf den Gebieten der Minderheitenrechte und der internationalen Zusammenarbeit beteiligt.
Diese Treffen führten zur Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung des Runden Tisches vom 12. Juni 2011 zur Unterstützung der deutschen Bürger polnischer Herkunft und der Polen in Deutschland sowie der deutschen Minderheit in Polen.
Nach der Unterzeichnung der Erklärung wurden in den Folgejahren Treffen abgehalten, um die Fortschritte bei der Umsetzung ihrer Bestimmungen zu überwachen. Das letzte Treffen dieser Art fand 2019 statt und war – aus Sicht der deutschen Minderheit – höchst unbefriedigend und führte nicht zu den erwarteten Ergebnissen. Im Jahr 2024 wurde im Rahmen der polnisch-deutschen Regierungskonsultationen ein Aktionsplan zur Vertiefung der Zusammenarbeit und Verbesserung der Beziehungen zwischen Polen und Deutschland verabschiedet. Ein Absatz dieses Dokuments lautet: “Die Beziehungen zwischen der deutschen Regierung und der polnischen Gemeinschaft in Deutschland sowie zwischen der polnischen Regierung und der deutschen Minderheit in Polen beruhen auf gleicher Wertschätzung und wechselseitigem Verständnis im Einklang mit den Bestimmungen des deutsch-polnischen Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit von 1991. Wir beabsichtigen, die Gespräche zur Unterstützung von deutschen Staatsangehörigen mit polnischen Wurzeln und Polinnen und Polen in Deutschland sowie der deutschen Minderheit in Polen im Rahmen eines erneuerten Deutsch-Polnischen Runden Tisches wieder aufzunehmen. Beide Regierungen werden Anstrengungen unternehmen, um die Umsetzung der Bestimmungen des Artikels 21 des Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit von 1991 hinsichtlich des muttersprachlichen Unterrichts für die deutsche Minderheit in Polen beziehungsweise die polnische Gemeinschaft in Deutschland sicherzustellen”.
Der Runde Tisch spielte eine wichtige Rolle beim Aufbau des gegenseitigen Verständnisses und war eine Plattform für einen auf Partnerschaft und Vertrauen gestützten Dialog. Seine Wiederaufnahme entspricht der Notwendigkeit, diesen Prozess im Geiste des Vertrages fortzusetzen. Wir appellieren daher an die Regierung der Republik Polen und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, die Arbeit des Polnisch-Deutschen Runden Tisches so bald wie möglich in einem neuen Format wieder aufzunehmen.
Wir postulieren:
- die Entwicklung von strategischen Lösungen für die nachhaltige Erhaltung der Identität, Kultur und Sprache der deutschen Minderheit in Polen;
- Gespräche der polnischen und deutschen Regierung mit Vertretern der deutschen Minderheit in einem Format zu führen, das nicht auf dem völkerrechtlich verbotenen Grundsatz der so genannten Reziprozität aufgebaut ist;
- das erste Treffen des Runden Tisches noch im Jahr 2025 zu organisieren, damit bis zum 35. Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrages gemeinsame Regelungen ausgearbeitet werden können.
Aus Sicht der deutschen Minderheit in Polen besteht vor allem in folgenden Bereichen dringender Handlungsbedarf:
- Deutschunterricht als Minderheitensprache: Verbesserung der Qualität des Unterrichts, Erweiterung des Bildungsangebots und Verbesserung des rechtlichen Rahmens in diesem Bereich gemäß den Bestimmungen der von Polen ratifizierten Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen;
- Bau und Unterstützung von Kindergärten und Schulen mit Deutsch als Unterrichtssprache;
- langfristige institutionelle Unterstützung für die Organisationen der deutschen Minderheit in Polen;
- Unterstützung der Medienaktivitäten der deutschen Minderheit und Erleichterung des Zugangs zu deutschen Medien;
- Unterstützung der Archivierungs- und Forschungsaktivitäten der deutschen Minderheit in Polen;
- Verstärkte Unterstützung der Jugendarbeit der deutschen Minderheit in Polen;
- Durchführung breit angelegter Forschungsprojekte über die Deportation und Verfolgung von Menschen deutscher Herkunft auf dem Gebiet der Republik Polen in der Zeit nach 1945, Identifizierung der Opfer, der Hinrichtungsorte und der Grabstätten, um ihnen ein würdiges Gedenken zu ermöglichen;
- Bestandsaufnahme der verlassenen deutschen Friedhöfe (insbesondere der evangelischen) mit dem Ziel, sie zu kennzeichnen und zu sichern.
In Anbetracht der neuen politischen Realität in beiden Ländern sollte der bevorstehende Jahrestag des Vertrags den Anstoß zu mutigem und konstruktivem Handeln geben. Es ist ein Moment, den wir nicht verspielen dürfen.
Sankt Annaberg, den 31. Mai 2025