Allerheiligen und der Volkstrauertag lassen mich erkennen, was ich vor Jahren gehört habe: „Die Kirche ist eine Handvoll Lebender und eine riesige Menge Toter.“ Diese Worte passen zu jeder Gemeinschaft: Familie, Nation, Gemeinde, Heimatstadt … Stammbaum. Unabhängig davon, ob wir an das ewige Leben glauben oder nicht, fühlen wir uns mit denen, die vor uns kamen, verbunden. Wir betrachten ihr Vermächtnis als unser Erbe und unsere Verpflichtung. So entsteht eine Gemeinschaft aus Geschichte, Kultur, Erinnerungen, Orten und lebendigen Gefühlen.
Am Sonntag besuchte ich mit meinem kleinen Enkel Sebastian die Gräber meines Vaters, Großvaters und Urgroßvaters und erklärte ihm, dass er an einem Tag neben seinen Eltern auch die Vorfahren aus vier Generationen getroffen hatte. Ich sah, dass er diese Generationenkette nicht nur verstand, sondern emotional durchlebte: Sebastian, Lukas, Bernard, Gerhard, Johann, Paul. Das Leben eines jeden von uns ist eine Fortsetzung des Lebens unserer Vorgänger.
In dieser Dimension ist es möglich, dass etwas Unerreichtes in einem Leben in einem anderen möglich ist, und ich kann die Erfahrungen meines Vaters als meinen Prolog betrachten. Davon singt Reinhard Mey. Alle, die uns vorausgegangen sind, lebten seine Worte: „Und Tage kommen, Tage gehen, und so fliegt mein Leben dahin.“ Vielleicht hat Mey, der den Tod seines Sohnes erlebte, unsere Gedanken sehr gut am Ende formuliert: „Ich wollte hoch hinaus, ich wollte fliegen, ich wollte wachsamer als andre sein. (…) Und von so vielen Plänen bleiben Scherben und Tränen, und nur die Frage nach dem Sinn.“
Generationen wurden geboren, arbeiteten, bauten Häuser und mussten manchmal aus ihnen fliehen, und das in die Hand gedrückte Gewehr tötet auch. Haben sie nach einem Sinn gefragt? Oder vielleicht gab es einen einfachen Glauben und eine Hoffnung, wie in den Worten von Mey: „Lass nun ruhig los das Ruder, dein Schiff kennt den Kurs allein. (…) Aller Kummer, alle Not, alle Schmerzen enden. (…) Abschiednehmen und Vergehen auch ein Teil des Lebens ist. Und der Wind wird weiter wehen, und es dreht der Kreis des Lebens, und das Gras wird neu entsteh‘n, und nichts ist vergebens.“ Die Hoffnung klingt bei ihm sehr schön: „Heimkehr‘n in den guten Hafen über spiegelglattes Meer, nicht mehr kämpfen, ruhig schlafen, nun ist Frieden ringsumher.“
Deshalb summte ich mit Blick auf den beleuchteten Friedhof die Worte des genialen Liedermachers Reinhard Mey aus dem Lied „Wir“: „Es muss noch etwas andres geben, mehr als das Einsamsein zu zweit.“
Bernard Gaida