Grußwort des Botschafters Dr. T. Bagger im Rahmen der Messe auf dem St. Annaberg

Grußwort des Botschafters Dr. T. Bagger im Rahmen der Messe auf dem St. Annaberg

Ekscelencjo, Księże Biskupie,

Sehr geehrter Herr Bischof Neymeyr,

sehr geehrter Herr Abgeordneter Galla,

sehr geehrter Herr Bartek,

sehr geehrte Frau Donath-Kasiura,

sehr geehrte Vertreter der Roma und Sinti und anderer Minderheiten,

liebe Landsleute,

 

ich danke Ihnen sehr für die Einladung, an diesem historisch, religiös und symbolisch so bedeutsamen Ort heute mit Ihnen zu sein.

Es ist mein erster Besuch hier auf dem St. Annaberg. Und wie manche von Ihnen wissen, werde ich schon in diesem Sommer für eine neue Aufgabe nach Berlin zurückkehren. Umso wichtiger war es mir, heute hierher zu kommen und zu lernen – und auch zu spüren – was diesen Ort, und diesen Wallfahrtstag, so besonders macht.

Gestern habe ich Bischof Alfons Nossol in Gross-Stein besucht, der die komplizierte und komplexe Geschichte dieses Ortes sehr viel besser versteht als ich. Er hat unter anderem erzählt von der bewegenden Messe mit Papst Johannes Paul II. vor 40 Jahren.

Bischof Nossol ist tief in dieser Region verwurzelt – und doch weltoffen wie wenige. Er hat die schwere deutsch-polnische Vergangenheit gewendet in lebenslangen persönlichen Einsatz für Dialog, Verständnis und Versöhnung. Dies, und seine Fröhlichkeit und Leidenschaft dabei, macht Bischof Nossol zu einem großen Europäer.

Dieses geeinte Europa, in dem Polen und Deutsche seit fast zwanzig Jahren gemeinsam Mitglieder sind, schien die Antwort auf unsere irdischen Fragen und Sorgen um die Welt zu sein. Ein geeintes Europa, in dem Meinungsverschiedenheiten und Interessenunterschiede friedlich gelöst werden – auch als Lehre des blutigen 20. Jahrhunderts, das auch diesen Ort, den St. Annaberg, geprägt hat. Heute aber sind wir als Europäer neu herausgefordert.

Mit dem 24. Februar 2022 änderte sich nicht alles, aber unser Europa wird doch ein anderes sein als Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine. Ein Krieg, der großes Leid über die Ukrainer bringt und uns alle gezwungen hat, das eigene Handeln zu hinterfragen und neue Prioritäten zu setzen.

Es geht um konkrete Hilfe für die Ukraine, damit diese sich behaupten und ihre Freiheit verteidigen kann. Polen und Deutschland sind heute in der EU die beiden größten Unterstützer der Ukraine.

Es geht aber auch um die künftige Gestalt unseres Kontinents. Bundeskanzler Scholz hat die deutsche Haltung sehr deutlich gemacht: „Das bittere Kapitel der Geschichte unseres Kontinents wird damit enden, dass sich die freie Ukraine als vollwertiges Mitglied der Europäischen Union anschließt.“

In diesem Europa gibt es Menschen, die eine besondere Sensibilität haben für gesellschaftliche Spannungen, für die Gefährdung von Offenheit und Toleranz, für die Gefährdungen, die jedem Nationalismus eigen sind. Es sind Menschen wie die Angehörigen der Deutschen Minderheit in Polen. Sie sind die ersten Leidtragenden, wenn man Sündenböcke sucht, wenn man Emotionen schüren will gegen das vermeintlich Fremde; wenn man den Blick verengt, statt ihn zu weiten.

Umgekehrt sind sie auch diejenigen, die als erste die Chancen spüren, die – weil sie sich aller Sehnsucht nach Eindeutigkeit entziehen, weil sie mehr sind als „nur“ Polnisch oder „nur“ Deutsch – ein besonderes Gespür haben für die Chancen offener Grenzen und offener Gesellschaften.

Diese Chancen gibt es auch heute zwischen Deutschland und Polen – wenn wir in der Wahrnehmung des Anderen eine Bereicherung sehen. Zwischen Städten, zwischen Jugendlichen, im Wirtschaftsaustausch zwischen Unternehmen sind unsere Beziehungen dicht und intensiv wie nie zuvor.

Ich will Sie deshalb alle ermutigen, auch in diesen für die Deutsche Minderheit wahrlich nicht einfachen Zeiten beharrlich und geduldig weiter zu arbeiten an dem, was Willy Brandt einmal so treffend beschrieben hat als „außerordentliche Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen.“

Diese Anstrengung, diese Bereitschaft, einander als Menschen gut zuzuhören und aufeinander zuzugehen, werden wir zwischen Deutschen und Polen auch künftig brauchen. Wer wüsste besser darum, wie das gelingen kann, als Sie?

Und welcher Ort könnte symbolischer, geeigneter sein, um daran zu erinnern, wieviel für uns alle auf dem Spiel steht, dass diese Verständigung gelingt, als der St. Annaberg?

Die Arbeit an dieser Verständigung ist der tägliche Auftrag der Deutschen Botschaft in Warschau und aller deutschen Vertretungen hier in Polen. Und auch, wenn wir nicht immer helfen können: Sie können sich darauf verlassen, dass Sie mit Ihren Anliegen und Ideen, auch mit Ihren Sorgen um Diskriminierung, dort immer eine offene Tür und ein offenes Ohr finden werden.

Ich wünsche Ihnen alles Gute und Gottes Segen.

Vielen Dank

 

Foto: Mittendrin

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