Im Jahr 2025 jährt sich das Ende des durch das NS-Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieges zum 80. Mal. Der Krieg, der Millionen von Opfern forderte, führte auch zu einer Veränderung der politischen Ordnung in Europa und schließlich zu einer Veränderung der Grenzen. Noch bevor die endgültigen Beschlüsse diesbezüglich gefasst wurden, erlebten die Einwohner der deutschen Gebiete, die sich in Grenzen anderer Staaten befinden sollten, eine der schwierigsten Perioden ihrer Geschichte. Mit dem Einmarsch der Roten Armee erlebte die Zivilbevölkerung in Nieder- und Oberschlesien, Pommern, Ermland und Masuren alle Schrecken des Krieges – Deportationen, Vergewaltigungen, Vertreibung, Aussiedlung, verschiedene Repressionslager (darunter auch so genannte Arbeitslager) und schließlich Mord.
Die Repressionen dieser Zeit richteten sich gegen die deutsche Zivilbevölkerung, erlitten in einigen Fällen auch die Personen, die nur als Deutsche angesehen waren, und Personen, die für die neuen Behörden unbequem waren.
Begleiterscheinungen von Verbrechen und Unterdrückung waren Massenraub, Brandstiftung und Zerschlagung des Besitzes der Einwohner in einzelnen Regionen. Gleichzeitig wurde Industrieanlagen demontiert und in die Sowjetunion weggeschafft.
Im Gedenken an die tragischen Ereignisse von damals hat sich in den letzten Jahren der Begriff „Oberschlesische Tragödie“ in das Bewusstsein der Menschen in Polen etabliert, der sich auf die Einwohner der heutigen Woiwodschaften Schlesien und Oppeln bezieht. Es ist erwähnenswert, dass der Sejm und der Senat der Republik Polen sowie die Sejmiks der beiden Woiwodschaften entsprechende Gedenkresolutionen verabschiedet haben.
Wir verweisen jedoch darauf, dass die tragischen Ereignisse jener Zeit auch andere von der deutschen Bevölkerung bewohnte Regionen betrafen und nicht minder dramatische Ausmaße annahmen, wenn wir beispielsweise an die Tragödien des Versenkens der Gustloff, der Steuben und der Goya in der Ostsee denken, bei denen mehr als 20.000 Flüchtlinge ums Leben kamen.
Die Ereignisse des Jahres 1945 beendeten das Drama der deutschen Bevölkerung in den Polen zugesprochenen Gebieten nicht. Sie setzten sich unter der neuen politischen Ordnung fort, mit Vertreibungen, Umsiedlungen, Namensänderungen, dem Verbot des Unterrichts und der Verwendung der deutschen Sprache in Oberschlesien und dem Verbot, sich zu organisieren (außer in Niederschlesien). Als Zwangsmaßnahme, um in ihren eigenen Häusern leben zu dürfen, wurden sie gezwungen, ihre Identität, Geschichte, Sprache und Kultur aufzugeben. Denkmäler, Grabsteine, aber auch familiäre Erinnerungsstücke und Alltagsgegenstände wurden zerstört, verbrannt und weggeworfen, da sie den Grund für weitere Repressionen liefern konnten und oft auch waren. Die Vornamen und Nachnamen wurden unter Zwang polonisiert, z.B. aus Helmut wurde Piotr oder aus Hildegard wurde Łucja. Diejenigen, die ihre deutsche Identität offener zur Schau stellten, wurden dafür bestraft oder zur Ausreise „ermuntert“.
Viele derjenigen, die die Repressionen der kommunistischen Zeit überlebt haben, sowie ihre Angehörigen, erlebten den Zeitpunkt nicht mehr, als es nach der Wende 1989 möglich war, offen über diese dramatischen Ereignisse und ihre Folgen zu sprechen. Diese Verurteilung zum Vergessen, die fast zwei Generationen lang andauerte, ist auch ein Element dieses Dramas, dessen Auswirkungen noch heute zu spüren sind. Wir leben in einer Zeit, in der es immer noch Menschen unter uns gibt, die persönlich von der Repression betroffen waren. Unter uns sind die Kinder derer, die ermordet wurden, die von der Deportation in die UdSSR nicht zurückkehrten oder die, die nach dem Krieg in den Lagern starben. Diese Menschen haben nie das Wort „Entschuldigung“ gehört, und es gibt nur wenige Stätten im öffentlichen Raum, die das Ausmaß der dramatischen Ereignisse von damals zeigen können. Deshalb erinnert man in diesen Kreisen an die Worte der polnischen Bischöfe, die sie vor 60 Jahren an die deutschen Bischöfe richteten, „(…) wir vergeben und bitten um Vergebung(…)“ mit Dankbarkeit. Wir wissen noch die damalige Reaktion der Behörden.
Als Delegierte des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen appellieren wir, moralische Wiedergutmachung für all diejenigen, die nach 1945 Repressionen durch den polnischen Staat allein wegen ihrer deutschen nationalen Identität und ihrem Wunsch, diese zu erhalten und zu pflegen, erfahren haben, zu leisten. Wir sprechen uns auch für die Aufnahme und Durchführung von umfassenden Forschungsaktivitäten aus, die Fälle von gezielten Zwangsmaßnahmen gegen polnische Staatsangehörige deutscher Nationalität dokumentieren. Das Wissen hierüber sollte öffentlich gemacht und in die Geschichtslehrpläne in Polen und in Deutschland aufgenommen werden.
Sankt Annaberg, den 31. Mai 2025