Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder der deutschen Minderheit aus ganz Polen,
Mit der heutigen Sitzung schließen wir das zweite Jahr der aktuellen Legislaturperiode ab. Es war ein ereignisreiches Jahr in dem viel passiert ist aus der Sicht der deutschen Volksgruppe in Polen.
Zu Einem stand das Jahr nach wie vor im Schatten der Diskriminierung der ca. 55 Tsd. Kinder der deutschen Minderheit. Die Kinder erhielten den Zugang zu einer anstatt drei Stunden Deutschunterricht und es ist nur den Entscheidungen der Bürgermeister vor allem in der Woiwodschaft Oppeln aber auch teilweise in der Woiwodschaft Schlesien zu verdanken, dass es Gemeinden gab, wo die Kinder den Zugang zu weiteren Deutschstunden bekommen haben. Zum anderen war es ein Wahljahr in dem am 15. Oktober das neue polnische Parlament gewählt wurde. Mit dieser Wahl verbindet auch die deutsche Minderheit große Hoffnungen, denn mit der neuen Regierung scheint ein offener, konstruktiver Dialog in Bezug auf die Minderheitenthematik möglich zu sein. Erste Anzeichen gibt es schon dafür, denn die diskriminierende Verordnung wurde von der neuen Bildungsministerin Anfang Februar 2024 rückgängig gemacht. So bekommen alle Kinder ab den 1. September 2024 den Zugang zu drei Stunden Deutschunterricht zurück. Ich bin mir sicher, dass die Entscheidung der polnischen Regierung diesbezüglich nicht so schnell wäre wenn nicht unsere Proteste, unsere Schreiben, unsere Pressekonferenzen und viele weitere Aktivitäten zu diesem Thema. Dafür danke ich euch allen, denn dieses zeichnet uns als Gemeinschaft aus und das vor allen in schwierigen Zeiten.
Gleichzeitig mussten wir aber auch feststellen, dass mit der Wahl von 15. Oktober der letzte Abgeordnete der deutschen Minderheit im polnischen Sejm abgewählt, bzw. nicht gewählt wurde. Die hohe Wahlbeteiligung, starke Polarisierung der Gesellschaft aber auch das Denken, dass der Sitz des Abgeordneten der deutschen Minderheit im polnischen Sejm sicher sei haben dazu beigetragen, das die Liste des Wahlkomitees der deutschen Minderheit in der Oppelner Region dieses Mal keinen Wahlerfolg zu verzeichnen hatte. Dieses bedeutet auch für uns, für die Deutschen in Polen aber auch für andere in Polen lebende Minderheiten eine neue Situation in dem wir politisch neue Wege beschreiten müssen und neue Ansprechpartner im polnischen Sejm finden müssen.
Das Jahr 2023 war auch ein Jahr wo uns die Zahlen der Volkszählung vom Jahr 2021 vorgestellt wurden. Unsere Volksgruppe ist im Vergleich zum Jahr 2011 um ca. 3 Tsd. Menschen geschrumpft (2011- ca. 147. Tsd, 2021 – ca.144 Tsd.). Man könnte sagen es ist nicht viel, vor allem wenn man auf die antideutsche Politik der letzten Jahre, der polnischen Regierung schaut aber wenn man sich schon die Daten im Detail im Bezug auf die Siedlungsgebiete und Gemeinden in denen die deutsche Minderheit lebt genau anschaut, dann sind die Unterschiede schon größer. Wie dieses zu erklären ist muss schon jeder von uns selber analysieren, denn mein erster Gedanke war verbunden mit der Aktivität unserer Organisationen. An mancher Stelle konnte man nämlich durchaus eine Verbindung zwischen der Aktivität der Strukturen der deutschen Minderheit und dem Ergebnis der Volkzählung feststellen.
Deshalb bleibt auch das Thema der Sichtbarkeit der Tätigkeit unserer Organisationen ein Thema für die Zukunft. Wir müssen uns immer wieder aufs neue Gedanken machen- wie können wir die deutsche Kultur und Sprache für die nächsten Generationen attraktiv machen? Wie können wir Jugendliche für unsere Aktivitäten gewinnen? Hier bin ich in dem Bereich dem Bund der Jugend der deutschen Minderheit aber auch dem Haus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit aber auch den Bildungsvereinen Pro Liberis Silesiae aus Raschau und des Kreativen Lernens aus Goslawitz sehr dankbar für alle Impulse und Projekte in diesem Bereich. Ich weiß aber, dass es nie genug sein wird, und dass noch viel mehr in diesem Bereich passieren muss, denn wir sind von der Aktivität der Jugend immer mehr abhängig. In Zeiten wo das „regionale“, das „lokale“, das „minderheitenspezifische“ eine immer kleinere Rolle in der sich immer weiter „globalisierenden“ Welt spielt, ist gerade die Aktivität der jungen Generation aber auch eben die Sichtbarkeit unserer Projekte unheimlich wichtig. Das wir in diesem Bereich nach wie vor Potential haben, haben die jüngsten Ergebnisse der Selbstverwaltungswahlen in der Woiwodschaft Oppeln gezeigt. Mit einem gewagten Projekt einer neuen politischen Aufstellung, der Gründung des Wählerverbundes der Schlesischen Regionalpolitiker hat nicht nur das „regionale“ aber vor allem auch das „minderheitenspezifische“ ein sehr gutes Ergebnis eingefahren und somit bleibt es auch auf allen Ebenen der Selbstverwaltung in der Region Oppeln präsent, was vor den Wahlen keiner der Analytiker für möglich gehalten hatte. Leider sind wir in den andren Regionen, wo die deutsche Minderheit lebt politisch nicht so gut und so stark aufgestellt und da bleibt es umso wichtiger mit den neugewählten Entscheidungsträgern in Kontakt zu treten und diese auf unsere Anliegen aufmerksam zu machen.
Anfang dieses Jahres haben wir dann auch als VdG Vorstand ein Positionspapier herausgegeben weil wir der Meinung sind, dass es wichtig sei zu definieren sowohl gegenüber der deutschen als auch gegenüber der polnischen Regierung was unsere wichtigsten Herausforderungen für die nächsten Jahre sind. In dem 4 Seitigen Dokument haben wir auf 12 Punkte Hingewiesen:
- Politische Behandlung der Anliegen der deutschen Minderheit
- Förderung und Neugestaltung Deutsch als Minderheitensprache im polnischen Bildungssystem
- Unterstützende (Fortbildungs-)Projekte und Angebote für Deutsch- und Fachlehrkräfte
- Institutionelle Förderung und längere Projektzeiträume
- Stärkung der Jugend und Jugendorganisation der Deutschen Minderheit
- Einrichtung einer ständigen politischen Präsenz der deutschen Minderheit im polnischen Parlament
- Erweiterung der musealen Präsentation der deutschen Minderheit
- Erhaltung und Stärkung des Oberschlesischen Eichendorff-Kultur- und Begegnungszentrums in Lubowitz
- Unterstützung und Weiterentwicklung der medialen Tätigkeit der Deutschen Minderheit
- Erleichterung des Zugangs zu deutschen Online-Mediatheken und Förderung von deutschen und deutschsprachigen Filmvorführungen in Polen
- Sicherung der Kulturarbeit der Deutschen Minderheit durch Errichtung von zwei deutschen Kulturzentren
- Stärkung der deutsch-polnischen Beziehungen durch Schaffung eines deutsch-polnischen Bürgerfonds
Bislang haben wir noch keine Antworten auf dieses Dokument bekommen aber wir können uns somit sicher sein, dass bei der Aufnahme der deutsch- polnischen Gespräche zu dem Thema der deutschen Minderheit Klarheit herrscht was unsere Themenschwerpunkte angeht.
So wünsche ich uns allen ein gutes und erfolgreiches Jahr. Ich bedanke mich bei allen Förderern und Unterstützern, denn ohne diese wäre unsere breite Tätigkeit nicht möglich gewesen. Ich bedanke mich auch bei allen Mitarbeitern des VdG Büros unter der Leitung der Geschäftsführerin Joanna Hassa, denn es ist nicht immer einfach den richtigen „Spagat“ zu finden zwischen dem was verwaltungstechnisch gefordert wird und dem was unsere oft ehrenamtliche Arbeit ausmacht, also dem Willen möglichst unbürokratisch handeln zu können. Ich wünsche uns allen eine gute Versammlung heute.