Nicht gleichgültig sein

Nicht gleichgültig sein

In Deutschland geht der Wahlkampf in die letzte Runde. Es wundert also nicht, dass auch die Spannung steigt. Letzte Woche, als ich in Berlin war, kam ich auf eine Straße, wo die Farbe Rot mit wenigen grünen Akzenten herrschte.

Auf den Plakaten der SPD können folgende Slogans gefallen: „12 EURO Mindestlohn – bessere Bezahlung für 10 Millionen.”, „Respekt für dich” oder ein wenig sagendes „Ganz sicher Berlin”. Auf denselben Laternen sieht man Plakate der Kandidaten Der Linken mit deutlicheren Aussagen: „Vor Ausbeutung schützen” oder „Mit Mut gegen rechte Hetze”. Also gegen wen?

Doch am erschütterndsten war für mich, der in einem System mit dem Namen „Diktatur des Proletariates“ gelebt hat, ein Plakat neben dem eines Kandidaten der Linken, der zur Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands gehört. Und auf diesem Plakat steht ein Slogan, dass es mir kalt den Rücken runterläuft: „Die Arbeiterpartei für echten Sozialismus”. Hammer und Sichel waren natürlich auch dabei. Entlang der erwähnten Straße tauchten auch noch zwei Plakate der Grünen auf und sonst war keine andere Partei vertreten.

In Berlin gibt es zur gleichen Zeit auch einen Volksentscheid über eine dortige Senatsinitiative zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen, die Parteiplakate werden also begleitet von anderen wie der „Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen”, und das auf Deutsch und … Russisch.

Wenn ich das Wort „Enteignung“ neben einer Werbung einer „marxistisch-leninistischen“ Bewegung sehe, frage ich mich, ob denn niemand von diesen Leuten Geschichte gelernt hat? Wissen sie nicht, dass es diese Ideologie war, die Millionen von Menschenleben gekostet hatte und zum Beispiel in Polen sowie anderen europäischen Ländern heute, ebenso wie der Faschismus, verboten ist? Ich höre noch heute die Erzählung einer ethnischen Deutschen aus Odessa, deren Urgroßvater von der NKWD im Jahr 1933 erschossen wurde, weil er ein reicher Bauer gewesen ist und sich nicht enteignen lassen wollte, und deren Großvater (also sein Sohn) im Jahr 1947 erschossen wurde, weil er als Lehrer etwas Kritisches über diese Ideologie gesagt hat.

Ich denke, hätte ich Bedenken über den Sinn einer Teilnahme an der Bundestagswahl, würden diese nach dem Durchgang durch diese Straße verflogen sein. Denn das ist nicht nur Wahlkampffolklore. Das ist gefährlich für das Land, dessen Bürger ich bin. Man darf nicht gleichgültig sein.

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