Eine Tasche und zwei Rucksäcke

Eine Tasche und zwei Rucksäcke

Russland hat die Ukraine am Donnerstag, den 24. Februar angegriffen. Am Freitag schrieb mir der in Sumy in einem Keller Schutz suchende Vorsitzende des Rates der Deutschen der Ukraine, Wladimir Leysle, über WhatsApp: „Lieber Bernard, unsere Leute haben Schwierigkeiten von der polnisch-ukrainischen Grenze zum Aufnahmelager Friedland zu gelangen. Meine Frage ist, ob es aus der Solidarität möglich wäre, den Transport unserer Leute durch Vertreter der deutschen Gemeinschaft Schlesiens nach Deutschland zu organisieren. (…) Vielen Dank im Voraus aus dem Beschuss in der Ukraine.“

Damals gab es an der polnischen Grenze bereits Massen von Flüchtlingen. Deutsche aus der Ukraine haben jedoch das Recht, nach Deutschland zu ziehen und die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben, wenn sie ihre deutsche Herkunft nachweisen und die deutsche Sprachprüfung bei der deutschen Botschaft bestehen. Im Zusammenhang mit dem Kriegsausbruch erhielten sie das Recht, dies in Deutschland, im Lager Friedland, das wir alle kennen, nachzuholen. Aber sie mussten dorthin gelangen.

Auf diese Bitte hin habe ich als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM) Kontakt mit meinen Kollegen aus Rumänien und der Slowakei aufgenommen, die ebenfalls an die Ukraine grenzen und wir haben am Freitagabend unsere Hilfsbereitschaft erklärt. Unsere Telefone klingelten. Am Samstag stellte sich heraus, dass der Transport nicht das Wichtigste war (Züge transportieren Flüchtlinge kostenlos), sondern umfassende Informationen oder Hilfe bei der Organisation von Unterkünften unterwegs. Bis heute haben wir über hundert Familien geholfen, nach Deutschland zu kommen

Letzten Donnerstag war ich in Friedland und habe die Mitarbeiter der Aufnahmestelle und die dort bereits angekommenen Angehörigen der deutschen Minderheit aus der Ukraine getroffen. Von dort brachte ich eine Mutter mit ihrem Sohn nach Berlin, denen bereits der Status der Spätaussiedler zuerkannt wurde, aber ich hörte, dass etwa 80 % der dorthin kommenden Antragsteller keine Chance haben, diesen Status zu erhalten. Hauptgrund sind die fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache, die laut Gesetz als fehlende Verbundenheit mit der deutschen Kultur und damit mit der darin zum Ausdruck kommenden Nationalität interpretiert werden. Ihnen bleibt der Flüchtlingsstatus. Meine neue Bekannte aus Tscherkassy war dort Mitglied einer deutschen Minderheitenorganisation und sprach Deutsch. Sie bekam das Recht, sich in Berlin niederzulassen.

Mein Aufenthalt in Friedland endete mit einem ergreifenden Bild: Eine Mutter mit ihrem 17-jährigen Sohn ging auf mein Auto zu. Sie hatten jeweils einen kleinen Rucksack und trugen beide eine Tasche. Darin passte alles, was sie aus der Ukraine für ein neues Leben in Deutschland mitnehmen konnten.

Bernard Gaida 

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