In der Überschrift habe ich den Titel der deutschen Übersetzung von Andrea Wulffs Buch „The Invention of Nature. The Adventures of Alexander von Humboldt, the Lost Hero of Science” verwendet. Dieses vor langer Zeit gelesene Buch liegt vor mir auf meinem Schreibtisch, und daneben das Buch von Oliver Lubrich „Humboldt oder wie das Reisen das Denken verändert“, das mir kürzlich Hartmut Koschyk, ein Verbreiter des Wissens um A. von Humboldt, geschenkt hat. Außerdem liegt da auch eine Einladung zur wissenschaftlichen Tagung „Alexander von Humboldt in Franken, Schlesien und Polen“. Die Bedeutung dieser Konferenz, die vom Verein Malapane-Tal und der Kulturstiftung der Deutschen Vertriebenen organisiert wird, kann nicht hoch genug geschätzt werden, besonders wenn wir auf den englischen Titel von A. Wulffs Buch mit dem Wort „lost“, also „verloren“ achten.
Dieser große Denker und Gelehrte existiert im Bewusstsein der meisten von uns nicht. Wenn man im Raum Bayreuth ist, taucht sein Name oft auf, aber in Berlin wird Humboldt eher mit dem Gründer der Universität, seinem Bruder Wilhelm von Humboldt, in Verbindung gebracht. Und in Schlesien ist er fast völlig unbekannt. Die Konferenz am 16. September im Kulturzentrum in Malapane wird viel von diesem Unwissen ausräumen. Unwissen über einen Mann, der sein Leben der Bewunderung der Natur gewidmet hat, aber verbunden mit dem Bemühen, sie umfassend zu verstehen. In der Zeit, als einzelne Wissenschaftsgebiete entstanden und deren Ziel die Spezialisierung von Wissenschaftlern war, bemühte er sich im Alter von 65 Jahren um deren umfassende Beschreibung in dem Werk „Kosmos – Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“.
Heute könnten wir ihn als den ersten wirklichen Ökologen bezeichnen, dessen Weltanschauung das Denken von Menschen prägte, die wir besser kennen als Alexander von Humboldt selbst. Es ist Darwin, der in seinen Vorträgen und Schriften Gedanken über fehlende Glieder, zyklische Veränderungen, Mutationen und ständige Erneuerung findet. Humboldt formuliert diese Gedanken nach Forschungsreisen nach Amerika und Zentralasien, beschränkt seine Beobachtungen aber nicht auf die Natur. Er interessiert sich auch für das menschliche Schicksal in den Gemeinschaften, die er besucht. Die Sklaverei, die ihn in Amerika empörte, nannte er offen „eine Schande“. Er wies seinen Bekannten Jefferson, dessen Freiheitsideen den Sklaven nur geringfügig das Tor zur Freiheit öffneten, darauf hin. In Europa, begeistert von den Ideen der Französischen Revolution, bedauerte er, sie unter dem Einfluss eines aggressiven Napoleon fallen zu sehen. Die ganze Welt trauerte um seinen Tod, gab den Straßen seinen Namen, errichtete Denkmäler und veröffentlichte seine Werke.
Im englischsprachigen Raum geriet er wegen der antideutschen Stimmung im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg in Vergessenheit, im wissenschaftlichen Raum wegen einer zu ganzheitlichen Sicht der Wissenschaft – und in unserem Land… hat er wahrscheinlich nie existiert, obwohl er als Geologe und Berginspektor aus Franken nach Schlesien kam. Es ist Zeit für eine Veränderung. Mögen uns die heutigen antideutschen Stimmungen nicht aufhalten.
Bernard Gaida