Feldarbeit

Feldarbeit

Vor einem Jahr war der 100. Jahrestag der Volksabstimmung in Ostpreußen, am letzten Samstag der in Oberschlesien. Im ersten Fall stimmten über 96% der Bevölkerung für einen Verbleib bei Deutschland, im zweiten waren es fast 60%. Im Kreis Oletzko stimmten von 30.000 Einwohner nur zwei für Polen. Dies war so berührend, dass die Stadt im Jahr 1928 den Namen Treuburg erhalten hat.

Das Ergebnis der Volksabstimmungen zählte aber nur bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Heute ist es für die meisten nur eine historische Tatsache, für uns hat es jedoch auch einen symbolischen Wert. Krieg, Grenzveränderungen, Flucht, Vertreibung, spätere Migrationen rollten wie eine Walze über die einstigen Abstimmungsgebiete. Und doch, als ich mich heute daran erinnert habe, dass wir den 189. Todestag von Johann Wolfgang von Goethe begehen, nahm ich aus einem Regal das vor Jahren auf einem Flohmarkt in Sensburg gekaufte Flachrelief mit einem Zitat aus dem Faust: „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen”. Ich fühlte eine Gemeinsamkeit.

Das Goethe-Zitat, das zu meinen beliebtesten gehört, wird dabei illustriert durch Feldarbeit. Ein Bild eines Bauern und seiner schweren Arbeit auf dem Feld, der er aber jedes Jahr treu bleibt. Treuburg, Treue zu Traditionen, den Wurzeln, den Ahnen, aber auch eine aktive Treue, denn jedes Jahr bringt sie Früchte aus dieser Feldarbeit. Hinter dem Pflug wird ja gesät.

In verschiedenen oberschlesischen Betrachtungen fühlt man die Trauer, dass damals nur zwei Optionen zur Wahl standen: Deutschland oder Polen. Ohne eine Lösung dazwischen. In zwei Wochen erwartet uns die Volkszählung. Eine andere Art der Volksabstimmung ohne Frage nach der territorialen Zugehörigkeit, aber mit der Frage nach der Treue zum Erbe. Nach der Treue, die Anstrengung verlangt, um das Erbe besitzen zu können. Ein durchdachtes, überzeugtes Erbe, das Früchte für die Zukunft bringt. Ein geeintes Erbe, das auch Kompromisse und andere Lösungen zulässt, die vor 100 Jahren nicht vorgesehen waren.

Das Deutschsein, das in Schlesien, Ermland, Masuren, Lodsch gewachsen ist, erlaubt es uns, bei der Volkszählung 2021 dies als einzige Nationalität zu deklarieren, aber gleichzeitig auch mit einer Verbundenheit zu einer anderen Gemeinschaft: der schlesischen, kaschubischen, tschechischen… Selbst Goethe sagt uns scheinbar, dass bei uns, auf den von unseren Ahnen durchpflügten Feldern, im Zählungsformular der Eintrag „deutsche Nationalität“ nicht fehlen darf!

Bernard Gaida

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