“Je schwieriger der Weg, desto mehr werden wir ihm treu bleiben”

“Je schwieriger der Weg, desto mehr werden wir ihm treu bleiben”

Am Sonntag, den 30. Januar 2022, fanden in Lamsdorf Feierlichkeiten zum Gedenken an die Opfer der Nachkriegslager auf dem Gebiet des heutigen Polens statt. Die Zeremonie bestand aus einer feierlichen Andacht in der Lamsdorfer Kirche St. Maria Magdalena, dem Gedenken an die Opfer auf dem symbolischen Friedhof und der Kranzniederlegung sowie einem Vortrag von Dr. Bogusław Kopka: “Arbeitslager im Nachkriegspolen”.

Während der Feierlichkeiten sprach Vorsitzender des VdG, Bernard Gaida:

Der Begriff der Oberschlesischen Tragödie wurde im öffentlichen Raum Schlesiens bereits angenommen. Wir wissen jedoch, dass sie eine größere Reichweite außerhalb Oberschlesien hatte und viel länger als sog. Arbeitslager dauerte. Deshalb spricht die deutsche Gemeinschaft eher von der „Nachkriegstragödie der Deutschen im Osten“. Wenn ich hier in Lamsdorf stehe, denke ich an das Leid der damaligen Einwohner Schlesiens, möchte aber daran erinnern, dass Vertreibungen, Lager die als Arbeitslager bezeichnet wurden, Deportationen in die UdSSR, Vergewaltigungen, Leiden und Tod auch Deutsche in Rumänien, in Ungarn, in der Tschechoslowakei und in ganz Ostdeutschland betrafen, also auch in Pommern, in Ost- und Westpreußen, auch in Danzig, Lodsch und in Posen. Timothy Snyder schrieb im Jahr 2011 über Nessau (Nieszawa) folgende Worte: „Wiosną 1945 do Wisły wrzucono 38 Niemców – mężczyzn, kobiet i dzieci. Dorosłych wcześniej zabito”. /Im Frühjahr 1945 wurden 38 Deutsche in die Weichsel geworfen – Männer, Frauen und Kinder. Die Erwachsenen wurden früher getötet/. Diese Rache der Sieger an einer unschuldigen und wehrlosen Bevölkerung geschah überall. An diesem symbolischen Ort, nicht weit von Laband, Zgoda und Myslowitz, ich erinnere mich an Potulitz bei Bromberg, Sikawa bei Lodsch, aber auch an die von Herta Müller beschriebenen Viehwaggons, die von Siebenbürgen in die Ukraine und nach Sibirien fuhren. In Erinnerung an das Nachkriegsschicksal von Millionen von Deutschen und an die, die als Deutsche anerkannt wurden, die zwischen Oder, Ostsee, Adria und Kamtschatka geblieben sind, deren das Kriegsende nicht vom Tod, Leid und Demütigung befreit hat, kann ich nicht bezeugen, dass die Zeit deren Tragödie mit der Schließung des letzten Lagers endete. Die Tragödie hat nur ihr Angesicht verändert. Die Diskriminierung wartete nicht mehr auf deren Leben, sondern auf ihre Seele und ihren Verstand, ihre Identität. Das wichtigste Werkzeug war der Angriff auf die deutsche Sprache, die aus allen Lebensbereichen vertrieben wurde und wofür die Schlesier, Masuren, Kaschuben und Ermländer zum Verlust dessen verdammt wurden, was sie ausmacht, deren Kultur und der Erinnerung an die eigene Geschichte.
Es schuf Hunderttausende von Menschen, die auswanderten, weil sie wussten, dass Polen es ihnen nicht gewähren würde, Kinder im Geiste der eigenen deutschen Tradition Schlesiens ihrer Vorfahren zu erziehen. Die Zurückgebliebenen blickten oft hilflos auf die Auswirkungen der Polonisierung, die nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihre Kinder betraf. Das ist auch eine Tragödie Schlesiens. (…)

Während der Zeremonie wurde jedoch nicht nur an die Ereignisse von vor Jahren erinnert; im Zusammenhang mit der jüngsten Entscheidungds polnischen Sejms, die Mittel für den Deutschunterricht als Minderheitensprache zu begrenzen, ergänzte Bernard Gaida:

Es ist noch ein langer Weg vor polnischen Historikern, Politikern und uns selber um irgendwann die „Arbeitslager“, in denen Frauen, Kinder und ältere Menschen mit einer Todesrate von mehreren Dutzend Prozent, beim Namen zu nennen. Wann wir diese Voraussetzungen erlangen wird es dann bedeuten, dass die ganze Gesellschaft ein anderes historisches Gedächtnis, eine andere historische Sensibilität und Kultur akzeptieren kann, und die deutsche Sprache aber auch jede andere verwendete Sprache in Polen wird von keinen Abgeordneten länger bloßgestellt und keine Regierung wird sich nicht trauen ihre Bürger aufgrund ihrer unterschiedlichen Nationalität, Kultur oder Sprache zu diskriminieren. Die letzte Woche hat gezeigt, dass trotz der vergangenen 30 Jahren seit der Ablehnung des totalitären Systems, befanden wir uns noch nicht in dieser Lage, und der vergangene Freitag zeigte uns deutlich, dass wir uns als Land und Gesellschaft weit davon entfernt haben. Jedoch hier am Grab müssen wir Denjenigen versprechen, die für die deutsche Sprach- und Kulturzugehörigkeit den höchsten Preis zahlen mussten, dass je schwieriger der Weg zur Pflege unserer Sprache und Kultur uns von den polnischen Politikern aufgezeigt wird, desto mehr werden wir ihm treu bleiben.

Voller Inhalt der Rede HIER.

Vorgelesen wurden auch Worte des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Prof. Dr. Bernd Fabritius:

Es bleibt eine Daueraufgabe, weiterhin öffentlichkeitswirksam über diese schmerzhaften Erlebnisse zu berichten. Ich bin vor allen den Angehörigen der deutschen Minderheit sehr dankbar, dass sie diese Angelegenheit weiter verfolgen; und zwar ernsthaft, gewissenhaft und auf Basis wissenschaftlicher Fakten. Für viele ist es sicherlich nachvollziehbar, dass die Aufarbeitung dieser Tragödie starke Reaktionen hervorruft. Umso mehr begrüße ich es, dass gerade die deutsche Minderheit mit diesem schwierigen Thema sorgsam umgeht und Anklagen vermeidet. Ich halte dies für einen richtigen Weg. Denn (…) Ziel dieser Erinnerung muss die Versöhnung sein. Nur dann gibt es eine gute Zukunft.

(…) In einem freien und fortschrittlichen Europa Politik auf dem Rücken von Minderheiten auszutragen, erscheint geschichtsvergessen. In einer aktuellen Entscheidung des polnischen Sejm wird die Unterstützung der Deutschen Minderheit in Polen um rd. 10 Millionen Euro gekürzt. (…) Diese Entscheidung zur Kürzung der Förderung verletzt ratifizierte Regelwerke des Europarates, damit auch nationale Gesetze und widerspricht dem Geist einer gedeihlichen Minderheitenpolitik zum Wohle von Mehrheits- und Minderheitsbevölkerung. (…) Eine Diskriminierung oder gar eine Geiselnahme einer Minderheit zu außenpolitischen Zwecken ist keine akzeptable politische Strategie.

Vollen Inhalt der Rede lesen Sie HIER.

Viele Personen nahmen an den Feierlichkeiten teil, darunter der Europaabgeordnete Herr Łukasz Kohut, Vizekonsul der Republik Deutschland in Oppeln, Herr Kubilay Topal, stellvertretende Marschallin der Woiwodschaft Oppeln, Frau Zuzanna Donath-Kasiura, Vorsitzender des Sejmiks Oppeln und der SKGD Oppeln Herr Rafał Bartek, Vorsitzender des DFK Schlesien Herr Marcin Lippa, stellvertretende Direktorin des Zentralmuseums der Kriegsgefangenen in Lamsdorf, Frau Renata Kobylarz-Buła und viele andere Gäste. Besonders bedanken wir uns auch bei Mattheus Czellnik, der als Vertreter des BJDM sich ebenfalls gegen die Kürzung der Mittel für den Deutschunterricht geäußert hat. Allen, die gekommen sind, bedanken wir uns für die Anwesenheit.

Die Veranstaltung wurde aus den Mitteln des Deutschen Konsulats in Oppeln finanziert. Vielen Dank.

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