Potenzial, aber welches?

Potenzial, aber welches?

Wenn wir versuchen würden, ein grundlegendes Merkmal Europas und insbesondere der Europäischen Union zu definieren, wäre es wahrscheinlich die Mehrsprachigkeit. Die für uns normale Sprachenvielfalt auf dem alten Kontinent sorgt in Amerika manchmal für komische Situationen. Eine Frau aus Posen, die in den USA ihren Pilotenschein machte, umgeben von nur englischsprachigen Kollegen, wurde eines Tages von der Kursleitung mit den Worten begrüßt: „Wir haben ein tschechisches Mädchen für den Kurs angenommen, Ihre werdet Euch locker unterhalten können und Du hast eine Pause vom Englischen!“ Wie überrascht waren sie, als die Polin und die Tschechin anfingen, sich auf Englisch und nicht in einer gemeinsamen Sprache zu unterhalten. Schließlich ist Posen nur etwas mehr als 400 km von Prag entfernt.

In Europa betrachten wir es in der Regel als Reichtum, daher sind die Amtssprachen der EU alle Sprachen der Mitgliedstaaten. Dieses Prinzip verliert jedoch in den meisten Ländern unerwartet an Bedeutung, wenn Minderheiten- oder Regionalsprachen den Reichtum darstellen sollen. Normalerweise verliert dieses Prinzip nicht deklarativ, aber in der Praxis wird wenig getan, um den Verlust dieses Reichtums zu verhindern. Jahrzehntelang verließen Menschen Oberschlesien nach Deutschland, weil sie trotz Schikanen in Polen Deutsch konnten oder zu Hause mit Deutsch vertraut gemacht wurden. Derzeit sind deutsche klein- und mittelständische Betriebe eher bereit, in Oberschlesien zu investieren als in anderen Teilen Polens, da dort leichter Mitarbeiter zu finden sind, die Deutsch sprechen. Es scheint, dass dieser Vorteil aber am wenigsten wahrgenommen wird von polnischen Politikern und Entscheidungsträgern, die diese Sprache entweder herunterspielen oder, noch schlimmer, sie weiterhin unterdrücken.

Auch wenn wir derzeit 300 km von der Grenze entfernt sind, handelt es sich sprachlich und kulturell um eine Grenzregion, also einen Schmelztiegel von Menschen, ihrer Sprachen, Geschichten und Kulturen. Wir sind nicht die einzige Region dieser Art in Europa. Es gibt Elsass, Südtirol, Nordschleswig, Eupen, Sassenicken in Litauen, Wolhynien, Banat, Batschka zwischen Serbien und Ungarn, Kärnten, Kosovo, Baranja in Ungarn, Bukowina, Nordirland und viele andere. Alle diese Regionen haben Potenzial, das in der Geschichte und heute als Konfliktherd oder als Reichtum angesehen werden kann. Abhängig von dieser Annahme können diese Regionen anziehend oder abstoßend sein.

Nicht jeder möchte sie lernen, weshalb die meisten Minderheiten- und Regionalsprachen Europas vom Aussterben bedroht sind. In einer Woche werden Vertreter dieser Regionen und Experten nach Oberschlesien kommen, um auf den Reichtum der von Minderheiten bewohnten Regionen und von ihnen gesprochenen Sprachen anhand wirtschaftlicher Faktoren, insbesondere des Arbeitsmarktes, zu schauen. Die FUEN hat mit Bedacht die oberschlesischen Hauptstädte Oppeln und Kattowitz ausgewählt, um sich diesem Thema zu widmen. Ich lade ein.

Bernard Gaida

 

 

 

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