In Schlesien gibt es wie jedes Jahr Veranstaltungen zum Gedenken an die Oberschlesische Tragödie, die ich „die Nachkriegstragödie der Deutschen im Osten“ nenne und daran erinnere, dass Vertreibungen, Arbeitslager, Deportationen in die UdSSR, Vergewaltigung, Leid und Tod auch Deutsche in Rumänien, Ungarn, in der Tschechoslowakei und in ganz Ostdeutschland, also auch in Pommern, Ost- und Westpreußen, in Danzig, Lodz und Posen betrafen. Timothy Snyder schrieb 2011 über Nessau (Nieszawa): „Im Frühjahr 1945 wurden 38 Deutsche in die Weichsel geworfen – Männer, Frauen und Kinder. Die Erwachsenen wurden vorher getötet.“ Diese Rache der Sieger an der unschuldigen und wehrlosen Bevölkerung geschah überall.
Durch eine traurige Wendung des Schicksals haben die diesjährigen Feierlichkeiten einen neuen Akzent erhalten. Die damalige Tragödie endete nicht mit der Schließung des letzten Nachkriegslagers für Deutsche, sondern veränderte nur ihr Gesicht. Diskriminierung galt nicht mehr ihrem Leben, sondern ihrer Seele und ihrem Verstand, ihrer Identität. Das Werkzeug war der Angriff auf die aus allen Lebensbereichen entfernte deutsche Sprache der Schlesier, Masuren, Kaschuben und Ermländer, ein Angriff mit dem Ziel, ihr Wesen, ihre Kultur und Erinnerung an ihre eigene Geschichte zu verlieren. Es schuf Hunderttausende von Menschen, die auswanderten, weil sie wussten, dass Polen es ihnen nicht erlauben würde, Kinder im Geiste der eigenen deutschen Tradition Schlesiens zu erziehen. Die Zurückgebliebenen blickten oft hilflos auf die Auswirkungen der Polonisierung nicht nur ihrer Heimat, sondern auch ihrer Kinder. Es ist auch die Tragödie Schlesiens – und dieser Aspekt erweist sich heute wieder als aktuell.
Das Nachkriegsleid der deutschen Zivilbevölkerung war möglich, weil das System die Missachtung von Menschenrechten und Diskriminierung als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele zuließ. Ziel war es, die verbliebenen Deutschen in Polen zu polonisieren. Wenn ich daher heute höre, dass ein Minister der polnischen Regierung beabsichtigt, die Subventionen für den Unterricht in Minderheitensprachen so zu kürzen, dass es nur die deutsche Sprache betreffen soll, warne ich, dass es eine ähnliche Diskriminierung sein wird.
Am kommenden Samstag und Sonntag werde ich die Gedenkfeiern am Lagertor Zgoda und in Lamsdorf besuchen mit der Überlegung, dass es nach Jahren anhaltender kommunistischer Diskriminierung auch im demokratischen Polen nie den Willen gab, die versprochenen deutschen Schulen zu schaffen und jetzt soll sogar deren Ersatz in Form von drei Stunden Zusatzunterricht vernichtet werden. Werden die Tragödie und Diskriminierung der Deutschen im Osten eines Tages enden?
Bernard Gaida