Kontinuität nicht erwünscht

Kontinuität nicht erwünscht

Nach dem russischen Theaterstück, das Wahlen genannt wird, reicht es mir, in meine Erinnerung zu schauen. Mag sein, dass die Menschen im sog. Westen nicht wirklich die Mystifizierung der Demokratie verstehen, aber östlich der Elbe haben wir in einer solchen Realität gelebt.

Die demokratischen Rituale wurden organisiert und Millionen haben mitgemacht, so, wie es weiter in Russland geblieben ist. Daher versteht man hier das gefährliche Phänomen Russlands besser und deswegen kommen aus Mitteleuropa (Ungarn ausgenommen) Vorschläge, den Krieg „einzufrieren“, nicht.

Gestern nahm ich den Essay „Der entführte Westen“ von Milan Kundera wieder in die Hand. Heute könnte Kundera seine Worte von 1983 nur ergänzen. Paradoxerweise fängt er damals mit den letzten Worten des Leiters der ungarischen Presseagentur von dem Tag des Jahres 1956 an, an dem die russischen Panzern Budapest angegriffen haben: „Wir werden für Ungarn und für Europa sterben“. Kundera schreibt: „Der Leiter (…) wollte sagen, dass die Russen mit dem Angriff auf Ungarn auf ganz Europa zielten. Er war bereit zu sterben, damit Ungarn Ungarn und europäisch bleibt“. Seine weitere Worte deuten klar, dass diese Botschaft anders als in Prag, Warschau und Schlesien, im Westen nicht wirklich verstanden wurde.

Kundera möchte zeigen, dass Russland, unabhängig von der Epoche, immer eine Gefahr ist. Er schreibt: „František Palacký, der große Historiker (…) schrieb 1848 den berühmten Brief an die Frankfurter Nationalversammlung, in dem er die Existenz des Habsburgerreiches rechtfertigte, des einzig möglichen Bollwerks gegen Russland, gegen ‚die Macht, die bereits heutzutage eine ungeheure Größe besitzt und ihre Herrschaft noch mehr erweitert,‘ (…)“. Palacký warnt vor den imperialen Ambitionen Russlands, das versucht, eine „universelle Monarchie“ zu werden, das heißt, nach der Weltherrschaft strebt. Die „universelle Monarchie Russlands“, schreibt Palacký, „wäre ein unsägliches, gewaltiges Unglück, ein maßloses, grenzenloses Unglück“.

Im Jahr 1983 schreibt Kundera direkt über die Entschlossenheit Russlands „alle Nationen seines Reichs (Ukrainer, Belarussen, Armenier, Letten, Litauer etc.) in ein einziges russisches Volk“ umzuwandeln. Damals war es das sowjetische Russland. Aber genau der Essay von Kundera zeigt, dass unabhängig von der politischen Gestalt Russlands man seit Jahrhunderten eine Kontinuität der imperialen Träume sieht. Leider haben die Mächte des sog. Westens oft eine Tendenz, diesen Träumen den Weg zu erleichtern.  Die Teilung Europas mit den Grenzverschiebungen nach dem Zweiten Weltkrieg unter Stalins Diktat, die Tatenlosigkeit in den Jahren 1956, 1968, 1970, nach 2008 in Georgien, nach der Annexion der Krim 2014 waren eine Erleichterung. Eine Kontinuität ist nicht erwünscht.

Bernard Gaida

 

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