Vertreibungen

Vertreibungen

 

Am 20. Juni wird alljährlich der Weltflüchtlingstag der UN begangen. Seit dem Jahr 2014 ist dieses Datum in Deutschland auch der Gedenktag der Opfer von Flucht und Vertreibung. Alle deutschen Auslandsvertretungen und Ämter sind dann beflaggt.

Auch wenn wir uns trotz jahrzehntelanger Propaganda und Zensur dessen bewusst sind, ist es für einen Laien schwierig, ihr Ausmaß abzuschätzen. Erst wenn wir zwei Zahlen nennen, wird vieles deutlich. Östlich von Deutschland, vom Baltikum bis zur Adria und dem Ural, lebten in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts etwa 25 Mio. Deutsche. Heute leben nur ca. 1,5 Mio. Deutsche auf demselben Gebiet. Natürlich liegen 80 Jahre dazwischen – und doch ist dies das Ausmaß der ethnischen Säuberungen nach dem Zweiten Weltkrieg, wenn man zu ihnen neben Vertreibung und Deportation auch die Flucht vor der Front und die spätere Emigration zählt. Ich nenne hier auch die Emigration, weil trotz der Bestimmungen von Jalta und Potsdam, hätte sie kein so großes Ausmaß, wenn auf den Gebieten die demokratische Ordnung geherrscht und Menschenrechte (zu denen ich auch die sprachlichen und kulturellen Rechte der nationalen Minderheiten zähle) nicht gebrochen worden wären.

Ich weiß nicht, ob es in der Menschheitsgeschichte größere ethnische Säuberungen gegeben hat. Und doch wagen es nur die wenigsten, die Beraubung der deutschen Zivilbevölkerung ihrer Häuser, Heimat und der Sprache als Verbrechen zu benennen. Eine solche Ansicht vertritt Prof. Alfred de Zayas (ehemaliger UN-Experte für Menschenrechte) in seiner 68. von 80 Thesen, die dem Thema Vertreibung gewidmet sind. Dort schreibt er: „Strafe ohne Bezug zur persönlichen Schuld und ohne Verhältnis dazu ist keine Strafe sondern für sich ein Verbrechen“. In einer der anderen Thesen schreibt er, dass die Tabuisierung des Nachkriegsleids der Deutschen, die fehlende Anerkennung der Vertreibung als Verbrechen, das einer gerichtlichen Verfolgung unterliegt, in den 90er Jahren dazu führte, dass es wieder in Europa ethnische Säuberungen gegeben hat. Der Bevölkerungsaustausch auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens wurde als Lösung irgendwelcher Probleme herangezogen. Viele der heutigen Flüchtlinge sind ebenfalls Opfer ethnischer Säuberungen in ihren Heimatländern.

Es ist daher gut, dass zumindest durch ein solches Gedenken das Bewusstsein für das Verbrecherische aller Vertreibungen steigt, wodurch es für alle Politiker schwieriger wird, sie zu relativieren.

Bernard Gaida 

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