„Heute brauchen wir den Zusammenhalt, die Gemeinschaft, mehr denn je“

„Heute brauchen wir den Zusammenhalt, die Gemeinschaft, mehr denn je“ Rede von Rafał Bartek, VdG-Vorsitzender / przemówienie Rafała Bartka, przewodniczącego ZNSSK w Polsce. Foto: TSKN Opole

Sankt Annaberg, den 5. Juni 2022, Minderheitenwallfahrt

Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Pilger

nun treffen wir uns hier nach einem Jahr Pause wieder auf unserem heiligen Berg, dem Sankt Annaberg. Dabei schauen wir nicht nur auf das vergangene Jahr, aber wir wollen auch Kraft für die Zukunft schöpfen. Wir haben hinter uns ein schwieriges Jahr, was nicht nur von der Pandemie und von den damit verbundenen Beschränkungen überschattet wurde, aber vor allem in den letzten Wochen von der Aggression Russlands auf die Ukraine. In unserem Fall der in Polen lebenden Deutschen kam noch dazu die Einführung der gesetzlich verordneten Diskriminierung der deutschen Minderheit in Polen. Es sind alles Krisen, die nicht einfach sind, es sind Herausforderungen, an die wir noch vor zwei, nicht einmal vor einem Jahr gedacht hätten. Wer hätte denn von uns sich denken können, dass wir im 21. Jahrhundert mitten in Europa einen konventionellen Krieg haben werden mit tausenden Opfern und Millionen von Flüchtlingen? Wer von uns könnte sich denken, dass es im 21. Jahrhundert mitten in der EU eine klare, offene Diskriminierung einer Minderheit geben kann?

Diese Entwicklungen sollten für uns sowohl ein Signal als auch eine Lehre zugleich sein. Wir können nie davon ausgehen, dass, wenn wir einmal etwas erreicht haben, es für immer so bleiben wird. Genauso ist es mit unserer Identität, aber auch mit unserem Glauben – wir müssen uns immer aufs Neue darum bemühen.

Gerade der christliche Glaube, in dem wir Schlesier so stark verwurzelt sind, zeigt uns und lehrt uns, dass wir immer auf der Suche sein müssen sowie die Apostel immer auf der Suche waren. Das Gleiche betrifft auch unsere Identität, auch wenn sie für uns, die wir hier heute versammelt sind, offensichtlich und klar ist, so müssen wir doch davon ausgehen, dass es für die anderen, auch für unsere Nächsten nicht der Fall sein muss.

Diese Woche rief mich eine Studentin aus Posen an und wollte ein Interview mit mir führen. Nach kurzem Gespräch stellte sich heraus, dass sie in Posen studiert, aber aus Thorn kommt. Ihrem Vornamen nach habe ich sie gefragt, ob sie nicht vielleicht auch deutsche Wurzeln hat. Die meinte „da war was“ und sie hat auch die doppelte Staatsangehörigkeit, aber der Opa, der aus dem Norden kam, hat nie viel über die eigene Geschichte erzählt. Als sie mich dann am Freitag zum zweiten Mal anrief, um das Interview fortzuführen, fing unser Gespräch damit an, dass sie mit Ihrem Vater sprach, und es stellte sich heraus, dass der Vater zu den Gründern der Organisation der Deutschen Minderheit in Thorn gehörte! Davon wusste sie vorher nichts und meinte, jetzt hat sie Lust, weiter zu recherchieren, aber vielleicht auch selber aktiv zu werden.

Wir müssen also immer auf der Suche bleiben, immer neugierig bleiben, denn nur so können wir etwas Neues, oft Verdecktes oder gar Verstecktes neu entdecken. Deshalb sollen wir auch die aktuelle Krise rund um das Thema der Pflege der deutschen Sprache als eine Herausforderung betrachten. Wir müssen uns und unser Umfeld aufs Neue motivieren, sich mit der Sprache zu beschäftigen, öfter die Sprache nutzen, deutsche Medien anschauen und lesen, denn wie oft haben wir es vielleicht hier und da vernachlässigt, weil wir uns auf den Unterricht in den Schulen verlassen haben. Jetzt haben wir ein Zeichen bekommen, dass es wieder an uns liegt, wie und ob die Sprache überleben wird. Ja, überleben, denn die ist bedroht und das nicht seit heute.

Umso mehr seien wir heute dankbar all denen, die uns durch diese schwierige Zeit begleiten und unterstützen und es sind ja nicht wenige, von denen wir in den letzten Wochen und Monaten Worte der Unterstützung und Anteilnahme hören. Gerade heute brauchen wir den Zusammenhalt, die Gemeinschaft, mehr denn je.

Euch, die ihr hier versammelt seid, möchte ich aber vor allem heute danken, denn ich weiß, dass ihr unermüdlich seid in der Pflege der Identität, der Sprache, der Tradition und vor allem auch unserer christlichen Werte. Ich danke euch und bitte euch gleichzeitig um Unterstützung, denn auch der beste Vorstand, auch die beste Vertretung einer Volksgruppe, kann nicht ohne Unterstützung der Gruppe selbst ihr Amt und ihre Aufgaben erfolgreich ausführen. Für uns alle ist es dann umso wichtiger, dass wir die Kraft auch von der heutigen Pilgerfahrt und von der Anwesenheit eines so hohen Vertreters der katholischen Kirche, des Kardinals Kurt Koch, der zu uns aus Rom kommt, schöpfen können.

Deshalb danke ich auch dem Oppelner Bischof Andrzej Czaja, dem Bischofsvikar Pfr. Peter Tarlinski, den Franziskanern auf dem Sankt Annaberg, dass wir uns hier jährlich treffen und stärken können. Ich danke auch meinem Vorgänger im Amt des Vorsitzenden des Dachverbandes der Deutschen in Polen, Herrn Bernard Gaida, dass er über die 13 Jahre seine Tätigkeit als VdG-Vorsitzender die Aktivitäten der Minderheit so entwickelt hat, dass wir viel Neues auf dem Weg gebracht haben. Jetzt stehe ich aber auch wir alle stehen in der Pflicht, dieses fortzusetzen.

Denken wir immer daran, dass es diese Pilgerfahrt der Minderheit nur dank uns und nur mit uns geben kann. Auch wenn wir hier nicht mehr so zahlreich erscheinen, wie es früher der Fall war, so seien wir uns sicher und zuversichtlich − gemeinsam sind wir und bleiben wir STARK!

Danke
Rafał Bartek,

Vorsitzender des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen 

Lesen Sie mehr: Für den Frieden (Wocheblatt.pl, 7. Juni 2022) 

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