Arbeitspapier XXXIII der Kopernikus-Gruppe
Zivilgesellschaft stärken
Minderheiten und Mehrheiten als Akteure der deutsch-polnischen Nachbarschaft
Minderheiten als Motoren der Veränderung und Chance für die Zukunft
Die deutsche und die polnische Gesellschaft haben sich seit der Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrages im Jahr 1991 unter dem Einfluss von Modernisierungs- und Europäisierungsprozessen, von Zuwanderung und ökologischen Herausforderungen gravierend gewandelt. Das gilt auch für die deutsche Minderheit in Polen und die Polonia in Deutschland. Traditionelle Organisationsformen werden mehr und mehr abgelöst, nachfolgende Generationen agieren informeller und vielfältiger. Sie möchten in ihrer neuen
Rolle und ihren Aktivitäten wahrgenommen werden.
Das Dokumenttions- und Ausstellungszentrum der Deutschen in Polen in Oppeln hat uns beeindruckt. Es zeigt, wie der kulturelle und historische Beitrag von ethnischen Minderheiten konstruktiv in der Gegenwart nutzbar gemacht werden kann. Die 2022 eröffnete
Dauerausstellung des Zentrums wird nicht nur von der deutschen Minderheit in Polen, sondern auch von der lokalen und regionalen Gesellschaft angenommen, ruft keine Konflikte hervor, sondern führt Polen und Deutsche – Mehrheit und Minderheit – zusammen. Damit
dokumentiert die Minderheit, welchen Weg sie in den letzten Jahrzehnten gegangen ist: Sie zeigt sich nicht mehr aus einer einseitigen Opferperspektive, sondern ist bereit zur selbstkritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.
Das Zentrum als Haus der Begegnung ist Ergebnis einer lokalen, zivilgesellschaftlichen Intiative der deutschen Minderheit, das ohne Kontroversen zwischen Deutschland und Polen auf der staatlichen Ebene realisiert werden konnte. Das Vertrauen in die Zivilgesellschaft hat sich hier ausgezahlt und könnte ein Beispiel für ähnliche Initiativen für die Polonia in Deutschland oder weitere Vorhaben für die deutsche Minderheit in Polen sein.
Wir sprechen uns dafür aus, dass über die Online-Plaform „Porta Polonica“ hinaus auch die Polonia mit einem ähnlichen Dokumentationszentrum über die Geschichte der Polen in Deutschland präsent ist. Beide Gruppen, sowohl die Polonia in Deutschland als auch die deutsche Minderheit in Polen, sind Spiegelbild der Veränderungen der Gesellschaften und sie zeigen die neue Normalität in Europa.
Aus diesem Grund beobachten wir mit Sorge die Versuche, die deutsche Minderheit in Polen politisch auszunutzen. Wir stellen gleichzeitig fest, dass die Polonia in Deutschland lange Zeit nicht in dem Umfang unterstützt worden ist, wie es der Nachbarschaftsvertrag festgelegt hat. Wir warnen davor, die Minderheiten politisch zu instrumentalisieren oder gegeneinander auszuspielen. Denn dadurch verlieren alle, die Minderheiten und die Mehrheitsgesellschaften– und es gewinnen nur jene, denen an einer weiteren Polarisierung gelegen ist.
Vorschläge: Zivilgesellschaftliches Engagement fördern und stärken
Die Deutschen in Polen und die Polen in Deutschland sind aktive Mitgestalter der Zivilgesellschaft. Ihr Engagement zu fördern und zu stärken, ist ein gemeinsames deutschpolnisches Anliegen. Denn damit leisten sie einen wichtigen Beitrag für das Entstehen eines
bürgernahen und facehenreichen Europas.
Dieses Engagement wird durch politische und administrative Erschwernisse gehemmt. Wir erwarten nicht nur, dass die Diskriminierung der Kinder der deutschen Minderheit beendet und der Unterricht von Deutsch als Minderheitensprache in einem Umfang von drei Wochenstunden wiederhergestellt wird, sondern wir erwarten auch die Erweiterung des Angebots auf Klassen oberhalb von Klassenstufe 6. Gleichermaßen plädieren wir für eine kontinuierliche Verbesserung des Polnischunterrichts für herkunftssprachliche Kinder im Rahmen des öffentlichen deutschen Schulwesens.
Zivilgesellschaftliches Engagement im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit zu fördern und zu stärken, muss ein Schwerpunkt der deutschen und der polnischen Politik sein. Öffentlich zugängliche, hinreichend bekannte und niedrigschwellige Förderangebote sind
hierfür eine Grundvoraussetzung. Ein zentrales Informationsportal, das einen umfassenden und aktuellen Überblick über existierende Förder- und Antragsmöglichkeiten bietet, ist ein erster Schritt in diese Richtung.
Neben etablierten Vereinen und Organisationen von Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft sind auch Bürgerintiativen und informelle Gruppen zentraler Bestandteil zivilgesellschaftlicher Arbeit. Daher ist es wichtig, dass sie alle gleichermaßen Zugang zu Fördermöglichkeiten erhalten. Ein deutsch-polnischer Bürgerfond, analog zu dem 2020 eingerichteten deutschfranzösischen Bürgerfonds, könnte die finanziellen Grundlagen schaffen, um neues zivilgesellschaftliches Engagement für Minderheiten und Mehrheiten freizusetzen. Aus ausgewählten Vertretern geförderter Projekte könnte ein Parlament der deutsch-polnischen Zivilgesellschaft entstehen, wie es die Kopernikus-Gruppe bereits in ihrem Aufruf zum 30. Jahrestag des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags 2021 vorgeschlagen hat.
Wir schlagen außerdem vor, einen deutsch-polnischen Bürgerpreis für ehrenamtliches Engagement zum Beispiel unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten und des polnischen Staatspräsidenten einzurichten. Denn Akteure der Zivilgesellschaft benötigen ein Forum, das ihr Engagement würdigt.
Die Kopernikus-Gruppe ist ein Projekt des Deutschen Polen-Instituts und der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung. Die Sitzung der Gruppe in Oppeln wurde von der Stiftung für deutschpolnische Zusammenarbeit gefördert.